Telemann
Recorder Sonatas
Dan Laurin
BIS 2555
1 CD/SACD stereo/surround • 70min • 2021
05.10.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wohl jeder ambitionierte Blockflötist möchte die Sonaten von Georg Philipp Telemann möglichst früh in der Karriere einspielen, stellen sie doch ein – hinsichtlich des Stellenwertes – den Beethoven-Sonaten vergleichbares Kernrepertoire dar. Wenn der Grandseigneur der Blockflöte, Dan Laurin damit bis nach seinem 60. Geburtstag wartet, darf man auf Außerordentliches hoffen und diese Hoffnung wird nicht enttäuscht.
Kernrepertoire in neuer Beleuchtung
Wer sich endlich den gesamten Tonumfang der Altblockflöte erarbeitet hat, wird seine frisch erworbenen Fähigkeiten bald an der F-Dur Sonate aus dem Getreuen Musikmeister erproben wollen. Deshalb wird sie in Fachkreisen auch gern als die „Hausfrauen-Sonate“ geschmäht. Auf der „letzten Rille“ gespielt, kann das Stück entsetzlich langweilen. Nicht so bei Dan Laurin: Er gibt dem Kopfsatz zunächst durch eine betont schlichte, süße und reine Tongebung die ihm innewohnende rührende Naivität, verziert die Wiederholungen dann aber durchaus extravagant. Den sarabandenartigen Mittelsatz versieht er in den Wiederholungen mit einer eigenen, fast völlig neuen Melodie über dem beibehaltenen Bassfundament. Man beachte die außerordentlich subtile Gestaltung der Schlusstöne mit Flattement, Atemvibrato, Diminuendo. Wesentlich schwieriger ist bereits die C-Dur-Sonate aus derselben Sammlung durch die relativ hohe Lage mit exponierten g3’s, die am einfachsten auf einem Instrument nach Denner tonschön zu realisieren sind, einem toccatenartigen ersten Allegro sowie den frechen Sprüngen und den langen angesprungenen Trillern im Finale. Hier erweist sich Laurin als ein Meister quasi organistischer Agogik.
Danach wird es richtig schwer. Die beiden Sonaten aus Essercizii musici sind ausgesprochene Virtuosenliteratur. Mögen die Vivaldi-Konzerte auch technisch noch anspruchsvoller sein, braucht man sich dort, wenn die Finger schnell und der Atem lang genug sind, über Inhalt und rhetorische Umsetzung weniger Gedanken zu machen. Dies ist jedoch für die Gestaltung der d-Moll-Sonate unerlässlich, die zudem noch explizit dynamische Abstufungen von f, p, und pp verlangt, was nur wenigen so gut wie Laurin gelingt. Selten habe ich die Überleitung zwischen den beiden schnellen Sätzen so zwingend gehört. Der Kopfsatz der C-Dur Sonate ist im Wechsel zwischen Adagio und Allegro gestaltet, was auch von anderen Komponisten (J.B. Loeillet de Gant, J. Chr. Schickhardt) nach dem Vorbild von Arcangelo Corellis op. 5,1 übernommen wurde. Hier verstehe ich allerdings die von Laurin verwendete Agogik sowie auch die heftige Ornamentierung gleich zu Beginn des Adagios nicht hundertprozentig. Das Siciliano erscheint zunächst etwas zu gemächlich, dies wird jedoch durch die sprechend vorgetragenen Ornamente nachträglich und nachdrücklich legitimiert. Die recht unangenehmen Trillerketten des Schlusssatzes hört man selten derart elegant und mühelos.
Auf demselben Schwierigkeitsgrad bewegen sich die beiden Sonatinen, von denen lange Zeit nur die gedruckte Oberstimme erhalten schien. Glücklicherweise fand sich der zugehörige Bass in einer Abschrift in Dresden, sodass bisherige Rekonstruktionen überflüssig wurden.
Die große f-Moll-Sonate ist das anspruchsvollste Werk der Reihe. Emotional noch tiefer und düsterer als diejenige in d-Moll, kämpft der Interpret hier zunächst mit diversen extrem unangenehmen Griffverbindungen und den vielen angesprungenen des3’s, die von allen Tönen auf dem Alt am langsamsten anzusprechen pflegen. Eine Mischung aus Trauer und Trotz, die Laurin auch vom emotionalen Gehalt wunderbar umsetzt. Den As-Dur-Mittelteil des Allegro kann man neckisch-tändelnd spielen und bekommt dann einen netten Kontrast. Laurin gibt ihm den Charakter einer grell-erzwungenen Lustigkeit, was wesentlich besser in das Gesamtkonzept dieser tiefschwarzen Sonate passt. Ungemein elegant auch seine Agogik im abschließenden Menuett.
Hinreißendes Continuo-Spiel.
Anna Paradiso behandelt den Cembalo-Part über weite Strecken obligat, indem sie Gegenmelodien einflicht, die Dynamik durch mal nur zweistimmiges, mal vollgriffiges Spiel mit Acciaccaturen unterstützt. Der grelle Doppeltriller am Beginn des As-Dur Mittelteils im Allegro der f-Moll-Sonate ist schlichtweg genial. Mats Olofson artikuliert seine Bass-Linie am Cello ausgesprochen fein, kann aber – wo es nötig ist – auch kräftig dreinfahren, um dramatische Akzente zu unterstützen. Großartiges Teamwork!
Die Aufnahmetechnik schummelt ein wenig, denn derart präsent ist eine Blockflöte gegenüber einer Cembalo-Kopie nach Blanchet gemeinhin nicht. Dan Laurins kluge Bemerkungen zu den einzelnen Stücken sind unbedingt lesenswert.
Fazit: Heureka, wir haben eine neue Referenzaufnahme der Telemann-Sonaten. Mancher, dem die Verzierungen zu exzessiv erscheinen, möge einmal in die von Telemann als „Schule der Ornamentik“ verfassten „Methodischen Sonaten“ schauen. Zudem sind sie weder Selbstzweck noch Show, sondern jedes unterstützt die rhetorische Aussage. Besser geht es nicht! Unbedingte Empfehlung!
Thomas Baack [05.10.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Sonata C-Dur TWV 41:C5 (aus Essercizii musici) | 00:07:50 |
4 | Sonatina a-Moll TWV 41:a4 (aus Neue Sonatinen, Hamburg c. 1730) | 00:09:39 |
8 | Sonata f-Moll TWV 41:f2 | 00:07:46 |
12 | Sonata c-Moll TWV 41:c2 (aus Neue Sonatinen, Hamburg c.1730) | 00:08:17 |
16 | Sonata F-Dur TWV 41:F2 (aus Der getreue Music-Meister, Hamburg 1728-1729) | 00:06:28 |
19 | Sonata d-Moll TWV 41:d4 (aus Essercizii musici) | 00:09:29 |
23 | Sonata f-Moll TWV 41:f1 (aus Der getreue Music-Meister) | 00:10:58 |
27 | Sonata C-Dur TWV 41:C2 (aus Der getreue Music-Meister) | 00:08:15 |
Interpreten der Einspielung
- Dan Laurin (Blockflöte)
- Anna Paradiso (Cembalo)
- Mats Olofsson (Violoncello)