Viva Polonia!
Works by Polish Composers between Tradition and Modernity
Kaleidos KAL 6358-2
1 CD • 54min • 2020
26.01.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Schon seit ein paar Jahren sind die Sopranistin Ania Vegry, der Geiger Roman Ohen und der Pianist Oscar Jezior – drei junge polnische Musiker, die seit längerem in Deutschland leben – mit Programmen unterwegs, in denen mithilfe der Musik die wechselvolle Geschichte Polens reflektiert wird, eines Landes, das 1795 praktisch von der Landkarte verschwand und erst 123 Jahre später neu gegründet wurde. Wie konnte es über diesen langen Zeitraum hinweg seine kulturelle Identität behalten? „Zum Großteil durch die Musik und ihre Schöpfer“, meinen die drei Musiker. Das vorliegende Album ist die Summe vorangegangener Konzerte und setzt den Schwerpunkt auf die Verbindung von Volkstradition und Kompositionskunst.
Chopin und Wieniawski
Den Anfang macht die 1794 entstandene a-moll-Polonaise Abschied vom Vaterland von Michał Kleofas Ogiński, die bereits den Geist der Romantik atmet und für Komponisten späterer Generationen, Chopin eingeschlossen, zum Vorbild wurde. Diesem kommt das Verdienst zu, einen anderen nationalen Tanz, die Mazurka, in die Kunstmusik eingeführt zu haben. Von seinen 51 Beiträgen zu der Gattung sind hier die weniger populären drei Stücke op. 63 (1846) ausgewählt. Henryk Wieniawski, oft als der polnische Paganini bezeichnet, tat es ihm auf der Geige gleich, hier vertreten mit den Mazurken Kujawiak und Dudziarz (Der Dudelsackspieler). Noch ganz in der romantischen Tradition stehen auch Roman Statkowski mit seinem Krakauer Pendant Alla Cracovienne und der Klavierheroe und spätere Staatsmann Ignacy Jan Paderewski mit der Legenda op. 16/1.
Tradition und Innovation
Die „Moderne“, die im Untertitel des Albums angesprochen wird, ist im Programm streng genommen nur durch Karol Szymanowski (1882-1937) repräsentiert, der in seiner Epoche als Neuerer gelten darf, während im 20. Jahrhundert geborene Komponisten wie Szymon Laks und Grażyna Bacewicz – jedenfalls in den hier präsentierten Stücken – als Traditionalisten angesehen werden können. Um ein Jugendwerk Szymanowskis handelt es sich beim Prélude Nr. 1, doch neue Töne im alten Genre schlägt er mit den 4 Mazurkas op. 50 an, die Mitte der 1920er Jahre entstanden sind und seinem Freund, dem legendären Pianisten Arthur Rubinstein, gewidmet waren. Die Begegnung mit der Musik Igor Strawinskys und Maurice Ravels ist dabei nicht ohne Einfluß geblieben. Die Liebe zum Exotischen, für einen Avantgardisten seiner Zeit nichts Außergewöhnliches, schlägt sich in den textlich zweideutigen Liedern des wahnsinnigen Muezzins (1918) nieder.
Überzeugende Interpreten
Die Sopranistin Ania Vegry (eigtl. Wegrzyn), derzeit in Dessau engagiert, wo sie lyrische Koloratursopranpartien wie Gilda und Violetta singt, wird hier stimmlich vor allem in der Mittellage gefordert, zeigt aber – wie auch in den Gesängen von Karłowicz und Laks – eine beträchtliche Ausdrucksbreite. Erst kürzlich hat sie im Falle von Laks, der das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt hat, mit einer Gesamteinspielung seiner Lieder Pionierarbeit geleistet (eda records EDA 45). Hier ist er mit dem kurz vor Kriegsbeginn komponierten Dyzio der Träumer vertreten, in dem er sich mit seiner polnisch-jüdischen Herkunft auseinandersetzt. Ein Abdruck der Texte wäre bei allen fünf Liedtiteln des Albums wünschenswert gewesen. Wie die Sängerin geben auch Roman Ohem (zugleich Autor des Booklet-Textes) und Oskar Jezior eine beeindruckende Visitenkarte ab. Der Geiger setzt mehr auf gefühlvolle Kantabilität als auf äußerliche Bravour, der Pianist zeigt seine Klasse vor allem in den vertrackten Mazurken Szymanowskis.
Ekkehard Pluta [26.01.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Michal Kleofas Ogiński | ||
1 | Polonaise a-Moll (Abschied von der Heimat) | 00:04:40 |
Henryk Wieniawski | ||
2 | Kujawiak a-Moll IHW 9 | 00:02:58 |
Frédéric Chopin | ||
3 | Mazurka Nr. 39 H-Dur op. 63 Nr. 1 | 00:01:54 |
4 | Mazurka Nr. 40 f-Moll op. 63 Nr. 2 | 00:01:52 |
5 | Mazurka Nr. 41 cis-Moll op. 63 Nr. 3 | 00:01:39 |
Mieczyslaw Karlowicz | ||
6 | Sprich noch zu mir op. 3 Nr. 1 | 00:01:55 |
Karol Szymanowski | ||
7 | Mazurka op. 50 Nr. 1 | 00:02:04 |
8 | Mazurka op. 50 Nr. 2 | 00:02:03 |
10 | Mazurka op. 50 Nr. 4 | 00:02:18 |
Roman Statkowski | ||
11 | Alla Cracovienne D-Dur op. 7 | 00:04:34 |
Ignaz Jan Paderewski | ||
12 | Légende As-Dur op. 16 Nr. 1 | 00:05:21 |
Karol Szymanowski | ||
13 | Prélude Nr. 1 | 00:02:49 |
Szymon Laks | ||
14 | Dyzio Marzyciel (aus 5 Lieder zu Gedichten von Julian Tuwim) | 00:02:03 |
Karol Szymanowski | ||
15 | Allah, Allah, Akbar ... op. 42 Nr. 1 | 00:02:51 |
16 | Ledwie blask slońca ... op. 42 Nr. 2 | 00:03:06 |
17 | W poludnie miasto biale od goraca ... op. 42 Nr. 3 | 00:01:58 |
Grażyna Bacewicz | ||
18 | Oberek Nr. 1 für Violine und Klavier (1949) | 00:01:55 |
Henryk Wieniawski | ||
19 | Dudziarz D-Dur op. 19 Nr. 2 IHW 13 (Mazurka) | 00:03:47 |
Interpreten der Einspielung
- Anja Vegry (Sopran)
- Roman Ohem (Violine)
- Oskar Jezior (Klavier)