Hindemith
Clarinet Concerto • Clarinet Quartet • Sonata
Orfeo C210041
1 CD • 65min • 2021, 2020
20.10.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
„Ich bin 1895 zu Hanau geboren. Seit meinem 12. Jahre Musikstudium. Habe als Geiger, Bratscher, Klavierspieler oder Schlagzeuger folgende musikalische Gebiete ausgiebig „beackert“: Kammermusik aller Art, Kaffeehaus, Tanzmusik, Operette, Jazz-Band, Militärmusik. Seit 1916 bin ich Konzertmeister der Frankfurter Oper. Als Komponist habe ich meist Stücke geschrieben, die mir nicht mehr gefallen: Kammermusik in den verschiedensten Besetzungen, Lieder und Klaviersachen. Auch drei einaktige Opern, die wahrscheinlich die einzigen bleiben werden, da infolge der fortwährenden Preissteigerungen auf dem Notenpapiermarkt nur noch kleine Partituren geschrieben werden können…“ Soweit Paul Hindemiths Selbstbiographie in „Neue Zeitschrift für Musik“ im Juli 1922.
Da war er angetreten, neue Wege für die Musik zu beschreiten. Mit frechem Spielwitz gerät der Erzmusikant zum Bürgerschreck, während die Fachwelt schnell seine herausragenden Qualitäten erkennt, was 1927 durch eine Professur für Komposition an der Berliner Musikhochschule gekrönt wird. Das hindert die Nationalsozialisten nicht, sein Werk zu verunglimpfen und 1936 schließlich gänzlich zu verbieten. Hindemith emigriert 1938 zunächst in die Schweiz und anschließend in die USA, kehrt jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg nach Europa zurück. Als Dirigent und Interpret seiner Werke gefeiert, wirkt das von den Nazis ausgelegte Gift jedoch derart nachhaltig, dass seine Werke im Konzertsaal und Tonträgerangebot noch immer nicht allzu häufig anzutreffen sind.
Kompositionen aus dem Exil
Noch in der Schweiz entsteht 1938 das Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier. Hier kündigt sich Hindemiths Spätstil an. Von der Wildheit der frühen Jahre ist nichts mehr zu spüren. Über dem dreisätzigen Werk liegt eine im Regerschen Sinne abgeklärte kammermusikalische Stimmung. Die Thematik ist kantabel und lyrisch im Ausdruck, was eine kräftige kontrapunktische Stimmführung und im Finalsatz eine lebhafte Coda nicht ausschließt. Die Uraufführung findet im April 1939 in New York statt.
Im September des gleichen Jahres schreibt Hindemith, noch in der Schweiz, die viersätzige Klarinettensonate. Sie ist die gewichtigste seines Sonatenzyklusˈ für Bläser. Mit ihrem steten Wechsel zwischen weiten Melodiebögen im ersten und dritten Satz im Kontrast zum prickelnden zweiten und dem pittoresken vierten Satz kann sich die Klarinette im Dialog mit dem Klavier auf das Schönste entfalten. Sie erscheint 1940 im Druck, die Uraufführung ist nicht bekannt.
Ein Klarinettenkonzert für Benny Goodman
Während der Vorbereitungen zu seiner ersten Europa-Reise nach den Schrecknissen von Nazi-Terror und Kriegs-Horror erhält Hindemith 1947 den Auftrag, für Benny Goodman ein Klarinettenkonzert zu schreiben. „The King of Swing“ hat sich Zeit seines Lebens für die Klassik eingesetzt, Mozarts Klarinettenwerke hat er häufig aufgeführt, Aufnahmen sind heute noch in den Katalogen zu finden. Vor diesem Hintergrund komponiert ihm Hindemith ein tiefsinnig bis humorvoll ins 20. Jahrhundert transformiertes Mozart-Konzert. Für die Grundstimmung sorgt schon die dunkler timbrierte A-Klarinette, die auch Mozart vorschreibt, und die daraus resultierende Tonart A-Dur. Wie Mozart beginnend mit der Quinte der Grundtonart, entwickelt Hindemith in den Sätzen 1, 3 und 4 ein an das „Vorbild“ gemahnendes Szenario bis hin zu den perlenden Sechzehntelketten im Sechsachteltakt des letzten Satzes. Als höchst eigenen Akzent und Referenz an den Swingmusiker Goodman fügt Hindemith nach dem ersten ein mit „Ostinato – Schnell“ überschriebenen Satz ein. Dieses Scherzo mit seinem von der Klarinette im tiefen Register vorgetragenen Ostinato „rotiert“ mittels geschickter Pausensetzung von Takt zu Takt. Ein swingend-witziger Spaß! Am 11. Dezember 1950 hebt Goodman diese Köstlichkeit erfolgreich aus der Taufe, assistiert vom Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy.
Musikantisches Vergnügen der Extraklasse
Vor dem Hintergrund seiner noch heute wegweisenden musiktheoretischen Schriften und die Akkuratesse in der Anlage seiner Kompositionen wird bei Aufführung seiner Werke häufig der witzige Erzmusikant Hindemith vergessen und die akademische Statik in den Mittelpunkt gestellt. Nicht so bei der temperamentvollen Sharon Kam und ihren famosen Mitstreitern. Selbstverständlich folgt man akkurat dem Notentext. Im Hindemithschen Sinne jedoch angereichert mit Brillanz, Virtuosität, aber auch mit beseelt schöner Gesanglichkeit und lebendiger Musikalität. Ein musikantisches Vergnügen der Extraklasse, das von der Tontechnik adäquat eingefangen wurde.
Holger Arnold [20.10.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Paul Hindemith | ||
1 | Konzert für Klarinette und Orchester | 00:22:15 |
5 | Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier | 00:26:39 |
8 | Sonate für Klarinette und Klavier | 00:16:31 |
Interpreten der Einspielung
- Sharon Kam (Klarinette)
- Antje Weithaas (Violine)
- Julian Steckel (Violoncello)
- Enrico Pace (Klavier)
- Radio-Sinfonieorchester Frankfurt (Orchester)
- Daniel Cohen (Dirigent)