Sentiment
Works by Louis Couperin, Anita Mieze, Jacques Duphly, Jean-Philippe Rameau and Joseph-Nicolas-Pancrace Royer
Genuin GEN 21733
1 CD • 82min • 2021
26.05.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Musik des französischen Barocks und zeitgenössische Musik für Cembalo vereint Alexandra Ivanova auf ihrem CD-Debüt als Solistin in einem faszinierenden Brückenschlag über die Jahrhunderte: Neben drei bedeutenden Cembalomeistern der französischen Musik des 17. und 18. Jahrhunderts (Louis Couperin, Pancrace Royer und Jacques Duphly) erklingen Werke der 1980 geborenen lettischen Komponistin Anita Mieze – ihr Name ist übrigens nicht wie die deutsche Miezekatze auszusprechen, sondern mit einem „e“ nach dem „i“ und stimmhaftem „s“ in der Mitte, also etwa „Miësä“. Wenn auch nicht ausdrücklich für diese CD entstanden, wurden Miezes Cembalostücke durch Ivanovas französisches Programm inspiriert und sind der Cembalistin gewidmet.
Sicheres Gefühl für die musikalische Idomatik
Alexandra Ivanova hat für dieses Programm zwei vorzügliche Kopien barocker Cembali ausgesucht: Die Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts erklingt auf einem Cembalo, das Joel Katzmann 2003 nach einem 1638 gebauten Instrument von J. Ruckers fertigte; die Stücke von Anita Mieze werden auf einem 2013 von Titus Crijnen gebauten Instrument gespielt, das Vorbildern des französischen Cembalobauers Blanchet folgt und im Unterschied zu dem Rucker-Katzmann-Cembalo über den für die Komposition „Ansichtskarte“ benötigten Lautenzug verfügt. Die auf dieser CD erklingenden französischen Stücke umfassen einen Zeitraum vom Grand Siècle Ludwigs XIV. bis zum Vorabend der französischen Revolution – und damit von Louis Couperin (1626-1661) über Jean-Philippe Rameau (1683-1764), Pancrace Royer (ca. 1705-1755) bis hin zu Jacques Duphly (1715-1789).
Bewundernswertes Einfühlungsvermögen und ebensolche Klarsicht in die Entwicklung der musikalischen Idiomatik in anderthalb Jahrhunderten französischer Claviermusik zeichnen Alexandra Ivanovas Interpretationen aus: Gemessene Würde bei Louis Couperin; Eleganz und großartige Variationskunst bei Jean-Philippe Rameau; die virtuose Kunst Pancrace Royers, musikalische Extreme auf die Spitze zu treiben und hierin in gewisser Weise den deutschen Sturm und Drang auf französische Weise vorwegzunehmen; und schließlich die auf den Traditionen der französischen Cembalomusik fußende Kunst von Jacques Duphly, der außerdem noch durch die ganz anders gearteten Musik Domenico Scarlattis beeinflusst ist und die Vollendung der Epoche der Clavecinisten im Rokoko darstellt. Wer einen genauen Eindruck von Alexandra Ivanovas Meisterschaft als Interpretin erhalten möchte, höre sich direkt hintereinander die Chaconnen Louis Couperins und Jacques Duphlys an und lasse sich so die stilistische Entwicklung der französischen Cembalomusik im Verlauf mehrerer Generationen eindrücklich vorführen.
Verbindung zum 20. Jahrhundert
Der Sprung ins 20. Jahrhundert ist deutlich, doch keinesfalls schockierend: Anita Miezes Stücke entsanden, wie die Komponistin selbst einräumt, vom barocken Programm dieser CD inspiriert. Die beiden Stücke Sentiment I und II paraphrasieren deutlich den Charakter der barocken Suite im Geist zeitgenössischer Musik. „Ansichtskarte“, als erste Begegnung von Anita Mieze mit dem Cembalo geschrieben, zeigt eine lustvolle Ausleuchtung der klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten des für die Komponistin neuen Instruments, das bisher in ihrem Schaffenshorizont nicht vertreten gewesen war. Einen besonderen Ehrenplatz bei der fälligen Höchstbenotung dieser CD darf der Cembalist Pieter-Jan Belder beanspruchen, der die Stimmung der Cembali betreute und besonders für das französische Repertoire außerordentliches leistete: Waren für Louis Couperins Stücke mitteltönige Stimmung selbstverständlich, erhielt danach jeder Komponist eine seiner Stellung im Zeitraum der Musikgeschichte eigene Stimmung. Ein wichtiger Beitrag, dass die Stücke des französischen Programms jedes für – auch was die Stimmung angeht – überaus authentisch klingen. Für Anita Miezes Kompositionen haben sich Belder, die Komponistin und die Solistin für eine gleichschwebende Stimmung entschieden.
Fazit: Eine außerordentliches Debüt einer Cembalistin, die in ihrer ersten Einspielung einen Spagat über die Zeitalter wagt, indem sie die Distanz von 150 Jahren überzeugend und mit Leichtigkeit überwindet und darüber hinaus noch eine Brücke in die direkte Gegenwart schlägt. Man darf mit Spannung auf künftige Einspielungen von Alexandra Ivanova warten!
Detmar Huchting [26.05.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Louis Couperin | ||
1 | Prélude non-mesuré F-Dur für Cembalo | 00:02:38 |
Anita Mieze | ||
2 | Sentiment I | 00:03:28 |
Jacques Duphly | ||
3 | La Forquere (Pièces pour clavecin, Troisième Livre) | 00:06:32 |
4 | Médée (Pièces pour clavecin, Troisième Livre) | 00:04:32 |
5 | Chaconne (Pièces pour clavecin, Troisième Livre) | 00:07:22 |
Jean-Philippe Rameau | ||
6 | L'entretien des Muses aus Pièces de clavecin avec une méthode sur la mécanique des doigts | 00:05:47 |
Jacques Duphly | ||
7 | Les Grâces (Pièces pour clavecin, Troisième Livre) | 00:06:45 |
8 | La de Belombre (Pièces pour clavecin, Troisième Livre) | 00:04:00 |
Jean-Philippe Rameau | ||
9 | Gavotte et six double (Nouvelles suites de pièces de clavecin) | 00:08:41 |
Anita Mieze | ||
10 | Sentiment II | 00:01:24 |
Louis Couperin | ||
11 | Chaconne en fa majeur | 00:02:41 |
Jacques Duphly | ||
12 | La Félix (Pièces pour clavecin, Deuxième Livre) | 00:03:12 |
13 | Rondeau tendre (Pièces pour clavecin, Première Livre) | 00:02:23 |
Joseph Nicolas Pancrace Royer | ||
14 | 1er e 2e Tambourins, suite des Matelots | 00:01:41 |
15 | L' Aimable (Gracieux) | 00:04:17 |
16 | Le Vertigo, rondeau (Modérément) | 00:05:52 |
Anita Mieze | ||
17 | Ansichtskarte | 00:05:42 |
Louis Couperin | ||
18 | Le Tombeau de Monsieur de Blancrocher F-Dur | 00:05:02 |
Interpreten der Einspielung
- Alexandra Ivanova (Cembalo)