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Besprechung CD

Johann David Heinichen

Flavio Crispo

cpo 555 111-2

3 CD • 3h 17min • 2016

04.02.2019

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Mit knappen 300 Jahren Verspätung erklingt hier die Uraufführung einer Oper für den kurfürstlich-sächsischen und königlich-polnischen Hof in Dresden, deren Premiere 1720 buchstäblich geplatzt ist.

Johann David Heinichen (1683-1729) war seit 1696 Schüler der Leipziger Thomasschule, später Student in der Pleißestadt gewesen und hatte eine vorzügliche musikalische Ausbildung bei den Thomaskantoren Johann Schelle und Johann Kuhnau genossen. Nach etlichen Zwischenstationen wurde er 1717 von August dem Starken als Hofkapellmeister am Dresdner Hof angestellt – mit ihrem großen Ensemble und reich ausgestattetem Orchester bot die dortige Hofmusik ausgezeichnete Möglichkeiten zur Entfaltung kompositorischer Kreativität. Zu Heinichens Pech begann ebenfalls 1717 der berühmte italienische Komponist Antonio Lotti (1667-1740) eine Tätigkeit in Dresden und brachte sein eigenes Opernensemble und -orchester mit. Damit waren Heinichens Chancen am Hoftheater der Residenz dahin, obwohl er bereits vorher am Leipziger Opernhaus und bei seinem jahrelangen Aufenthalt in Italien Erfahrungen in dem Genre gesammelt hatte. Erst, nachdem Lotti 1719 wieder in seine venezianische Heimat zurückgekehrt war, eröffneten sich für Heinichen Möglichkeiten, als Musikdramatiker in Dresden tätig zu werden. Die Gelegenheit ergab sich schnell: 1720 kam der Auftrag, mit Flavio Crispo eine große, dreiaktige Opera seria zu schreiben, die den König und Kurfürsten bei seiner Rückkehr aus Warschau in der sächsischen Hauptstadt willkommen heißen sollte.

Ein ausgewachsener Theaterskandal verhinderte allerdings das Zustandekommen einer Premiere des Werks. Mit den beiden Kastraten Senesino und Matteo Berselli, einem berühmten Sopranisten, waren zwei hochkarätige Sänger in der Besetzung; doch schon während der Proben zu dem Stück kam es zu einem Eklat: Senesino und Berselli bezeichneten die Musik ihrer Rollen als völlig unzureichend und ungeeignet für den italienischen Text, Senesino zerriss schimpfend die Noten seines Kollegen Berselli und warf sie dem Komponisten vor die Füße. Derlei Theater war nicht nach dem Geschmack von König August dem Starken – kurzerhand entließ er sämtliche Sänger, und Heinichen erhielt nie wieder die Chance, sich als Opernkomponist zu profilieren. Möglicherweise haben Senesino und Berselli den Streit bewusst vom Zaun gebrochen, war doch kurz zuvor Händel zu Besuch in Dresden gewesen und hatte mit lukrativen Engagements in London gewinkt. So kam es: Beide Sänger gingen ungesäumt in die englische Hauptstadt und feierten dort Triumphe.

Die um 300 Jahre verspätete Premiere, die mit dieser Einspielung dokumentiert wird, offenbart eine durch und durch meisterliche Komposition, die einer Aufführung durch die besten Kräfte der Dresdner Hofoper absolut würdig gewesen wäre. Glücklicherweise hat Jörg Halubek für seine Wiedererweckung von Flavio Crispo aus dem Dornröschenschlaf eine vorzügliche Besetzung zur Verfügung: Der Altus Leandro Marziotto brilliert mit klangschöner und agiler Kontratenorstimme in der Titelrolle. Die Rolle des zweiten Kastraten (diesmal in hoher Lage) verkörpert Gilimero, einen Heerführer und Freund Crispos; sie ist mit der Sopranistin Nina Bernsteiner bestens besetzt. Dana Marbach (Sopran) gestaltet eindringlich die englische Prinzessin Elena, in die Crispo unglücklich verliebt ist. Weitere exzellente Sängerinnen dieser Einspielung sind die Altistinnen Silke Gäng und Alessandra Visentin, die beide besonders im tiefen Register beeindrucken. Tobias Hunger, Tenor, singt die Rolle des Massenzio, Bruder der Kaiserin Fausta (in der Besetzungsliste der Produktion taucht er als „Massiminiano“ auf – so heißt freilich sein und Faustas Vater, welcher nicht zum dramatischen Personal dieser Oper zählt). Dieser etwas störende editorische Flüchtigkeitsfehler in der Textbeigabe der Produktion schmälert indes Tobias Hungers temperamentvolle und stimmlich schöne Ausdeutung seiner Rolle in keiner Weise. Somit präsentiert sich bisher eine rundum glückliche Besetzung: Lediglich der Bassist Ismael Arrániz als Kaiser Konstantin hinterlässt gelegentlich stimmlich einen etwas dröhnenden Eindruck.

Besonders eindrucksvoll ist in dieser Oper die Rolle des Orchesters: Sie ist mit reicher und überaus raffinierter Farbigkeit ausgestattet – was auch die Möglichkeiten deutlich macht, welche die gut besetzte Dresdner Hofkapelle einem Opernkomponisten damals bot. So wird das Orchester zum abwechslungsreichen Kommentator des musikalischen Geschehens auf der Bühne; und diese Raffinesse in der Komposition seiner Oper reiht Heinichen in die Gruppe wahrhafter Meister des Musikdramas seiner Zeit ein und weist auch auf Johann Adolph Hasse voraus, seinen 16 Jahre jüngeren Kollegen, in dessen Schatten zu geraten Heinichens Schicksal war. Das sollte uns Heutige allerdings nicht daran hindern, Heinichen seinen Ehrenplatz unter den Komponisten seines Jahrhunderts einzuräumen, der ihm wahrhaftig zusteht.

Das Stuttgarter Barockorchester erweist sich in dieser Einspielung als erstklassiger Klangkörper, und Jörg Halubek liefert mit seiner stilgerechten, temperamentvollen und von tiefer Sympathie für den Komponisten erfüllten Gesamtleitung von Flavio Crispo ein flammendes Plädoyer für Johann David Heinichen. Die Koproduktion des SWR hat diesen Mitschnitt der Welturaufführung des Werks vom 18. Juni 2016 aus dem Konzertsaal der Musikhochschule Stuttgart mit einem durchaus respektablen Klangbild ausgestattet.

Detmar Huchting [04.02.2019]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann David Heinichen
1Flavio Crispo (Oper in drei Akten) 03:17:08

Interpreten der Einspielung

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