House of Cards
BIS 2299
2 CD/SACD stereo/surround • 2h 12min • 2017
18.11.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Musiksprache des 1963 geborenen Kaliforniers Jeff Beal ist den Ohren von vielen Millionen Menschen durch die superbe Serie „House of Cards“ (mit dem genialen Bösewicht Kevin Spacey, dessen Frank Underwood im Zuge der MeToo-Enthüllungen von den Machern nunmehr politisch korrekt bestattet wurde) vertraut. BIS-Topflötistin Sharon Bezaly begeisterte sich für seine Musik, und hier liegt das Resultat als Doppel-CD mit dem Norrköping Symphonie-Orchester unter Leitung des Komponisten vor, im phänomenal präsenten und klar konturierten Klanggewand der maßstabsetzenden BIS-Tontechnik (Fabian Frank und Thore Brinkmann). Für Jeff Beal dürfte es ein weiterer Meilenstein zur Etablierung als weltweit angesehener Komponist, der nun auch im Konzertsaal zunehmend Verbreitung finden wird, sein. Als Solisten wirken neben der großartigen Sharon Bezaly der Gitarrist Jason Vieaux (akustisch, verstärkt wie auch zeitweilig der gestrichene Kontrabass, im Concerto Six Sixteen für Gitarre und Kammerorchester) sowie zwei Mitglieder des kreativen Familienclans: Joan Beal als amplified soprano mit einer herrlich schauerregenden Qualität, die essentieller Teil der subtileren Seite des Horrors in „House of Cards“ ist, und E-Bassist Henry Beal. Außerdem spielt Jeff Beal himself von Orchester-Ostinati begleitete Flügelhorn-Soli, die ihn als geschmeidigen Improvisator ausweisen. Das Miteinander von verstärkten und überwiegend unverstärkten Instrumenten trägt jener Entwicklung unserer Zeit Rechnung, die zur Folge hat, dass wir vor unserem inneren Ohr z. B. so mächtige, scharf konturierte, aggressive Basslinien hören, wie sie von den Orchesterinstrumenten auch bei größtem Aufwand nie geliefert werden können, bzw. dass wir von den Studioaufnahmen gewöhnt sind, dass schwächere Instrumente oder Gesangsstimmen sich scheinbar mühelos auch gegen ein großes, massiv instrumentiertes Orchester durchsetzen können – live ist diese Verstärkung ohne störende Nebenwirkungen oft kaum zu erzielen, doch bei einer Aufnahme – zumal unter optimalen Bedingungen wie hier – ist es kein Problem, das in kathartische Regionen führen würde.
Hauptwerk ist hier die mehr als 83-minütige House of Cards Symphony, die aus vorangehenden konzertanten Zusammenstellungen der Filmmusik hervorgegangen ist. Auch wenn man mit Recht argumentieren kann, dies sei eher (im Sinne etwa von Prokofieffs Romeo und Julia-Suiten) eine Suite in zehn kontrastreichen Sätzen als eine Symphonie, so ist doch festzuhalten, dass hier eine weitgehende symphonische Dramaturgie mit vielen Verwandlungen innerhalb der Einzelsätze umgesetzt wurde, die eine über normale Professionalität eines Hollywood-Komponisten hinausgehende handwerkliche Kompetenz und kreative Freude an der Lösung von Tonsatz-Problemen offenbart, dass es eine Freude sein kann, aufmerksam zuzuhören und dranzubleiben, auch wenn es einige weniger substanzielle Passagen gibt, die geopfert werden dürften. Aber wir müssen verstehen, dass diese Musik im Kern vor allem emotionale Bilder erzeugen wollte, wie der Film sie als subkutanen Handlungsablauf benötigt, und wer „House of Cards“ gut kennt oder gar ein hartgesottener Fan ist, wird hier ohnehin das Ganze wie in einem Wachtraum bebildert erleben. Ich rechne damit, dass diese Musik öfter im Konzertsaal anzutreffen sein wird, denn sie liegt nicht nur im massenkompatiblen Trend, sondern ist auch wirklich gut gemacht.
CD 2 eröffnet mit der aphoristisch knappen House of Cards Fantasy mit Sharon Bezaly als atemverschlagend in dieser Musik heimischer, klangliche Hexensäfte brauender Solistin. Es folgen das dreisätzige Gitarren-Kammerkonzert und eine Elegie Canticle für Streichorchester mit solistischem Konzertmeisterpart (Henrik Jon Petersen), Werke mit teils sehr fein arrangierten Klangüberlagerungen, im Concerto teils forsch groovender Attitüde. Dies wird freilich nun doch überragt vom Flötenkonzert für Sharon Bezaly, das diese nicht nur fulminant darbietet, sondern das auch in seinen drei klassisch kontrastierenden Sätzen gute Chancen hat, häufiger auch mit anderen Solisten im Konzertsaal gehört zu werden. Für das Soloinstrument ist es äußerst dankbar geschrieben, sofern der Solist über einen langen Atem verfügt. Insgesamt, auf der gesamten Produktion, wirken die schnellen Teile auf die Dauer etwas packender als die langsamen, was sehr stark mit der für heutige Filmmusik so typischen Moll-Lastigkeit zu tun hat, die in sich die Neigung birgt, einen Nebel der Introversion zu verbreiten, der über Melancholie zu Apathie führen kann. Hier bleibt allerdings alles im geschmackssicheren Rahmen. Hinzu kommt ein informativ unterhaltender Booklettext vom Komponisten selbst. Wer die neue amerikanische Filmmusik mag, wenn sie – wie hier – auf hohem Niveau praktiziert wird, und zugleich eine authentische Übertragung ins symphonische Orchester, kann mit diesem Album ideal bedient sein.
Christoph Schlüren [18.11.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Jeff Beal | ||
1 | House of Cards Symphony | 01:23:20 |
CD/SACD 2 | ||
1 | House of Cards Fantasy | 00:03:22 |
2 | Six Sixteen | 00:14:28 |
5 | Canticle | 00:06:27 |
6 | Konzert für Flöte und Orchester | 00:23:33 |
Interpreten der Einspielung
- Sharon Bezaly (Flöte)
- Fason Vieaux (Gitarre)
- Norrköping Symphony Orchestra (Orchester)
- Jeff Beal (Dirigent)