French Sonatas for Harpsichord and Violin
Phlippe Grisvard • Johannes Pramsohler
Audax Records ADX13710
2 CD • 1h 50min • 2016
18.04.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
« Sonate que me veux-tu ? – „Sonate, was willst du von mir?“, sprach der 1757 wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag verstorbene französische Philosoph Bernard le Bovier de Fontenelle am Ende eines Konzerts, in dem etliche dieser jüngst in Frankreich in Mode gekommenen Stücke erklungen waren. So berichtet Jean-Jacques Rousseau am Ende des Artikels über die Sonate in seiner berühmten Enzyklopädie. Tatsächlich hatte sich in Italien reine Instrumentalmusik früher emanzipiert als in Frankreich, wo im – anders als das „Klangstück“ (wie Sonate ja zu übersetzen wäre) die Ouvertüre bzw. Suite zum bestimmenden Genre der Instrumentalmusik wurde: Hier wurde eine Folge von Tanzsätzen, also Gebrauchsmusik, gewissermaßen geadelt, und durch nichttänzerische Einlagen – dann meist mit dem aus der Vokalmusik entlehnten Titel „Air“ – ergänzt. In der Sonate der Italiener verband sich ihre unbändige Musizierlust mit profunder Bildung und Einfallsreichtum zu einer temperamentvollen intellektuellen Herausforderung – eine ziemliche Provokation gegen die mit reichlichem Überlegenheitsgefühl ausgestatteten französischen Nachbarn.
Fontenelles 11 Jahre jüngerer Generationsgenosse François Couperin hatte mit seinen 1724 veröffentlichten Les Goûts réunis die beiden Antipoden des französischen und italienischen Stils vereint. So war neun Jahre nach dem Tod des Sonnenkönigs das Diktat darüber beendet, was in Frankreich für gute Musik gelten solle (ausgerechnet der aus Italien stammende Jean-Baptiste Lully hatte seinerzeit mit Argusaugen über die Einhaltung der Regeln gewacht!). Es schloss sich eine Phase des Experimentierens an; überdies erklang jetzt häufig italienische Musik – der von Johannes Pramsohler und Philippe Grisvard verfasste Einführungstext dieser CD erwähnt „die unzähligen Aufführungen des Frühlings oder von Corellis Weihnachtskonzert im Concert spirituel “. Die Concerts spirituels waren die ersten öffentlichen Konzerte, die in Frankreich seit 1725 und bis 1791organisiert wurden; ihr geistlicher Beiname verdeutlicht, dass die Konzerte nur an Tagen stattfinden durften, an denen die Oper wegen religiöser Feiertage nicht spielte, deutet also nicht auf eine Beschränkung des Repertoires auf geistliche Musik hin.
Johannes Pramsohler hat für sein Programm mit französischen „Sonaten“ des 18. Jahrhunderts keine modischen Stücke ausgewählt, die als französische Imitationen italienischer Musik wie ein Tsunami über die französische Konzertszene der Zeit Ludwigs XV. niedergingen. Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville (1711-1772) setzte 1740 mit seinem op. 3 neue Maßstäbe: Pièces de clavecin en sonates – so heißen die sechs Stücke im vorsichtig formulierten Titel, waren „Pièces de clavecin“ doch seit langem ein wichtiger Topos der französischen Musik. „Mit Begleitung der Violine“ ist ein euphemistischer Ausdruck dafür, was in den Stücken wirklich geschieht: ein gleichberechtigtes Miteinander zweier Soloinstrumente. Die beiden hier ausgewählten Stücke stehen in ihrer Verschiedenheit emblematisch dafür, was Mondonville möglicherweise mit seinem op. 3 vorführen wollte: Eine ganz eigene Neuformulierung des Begriffs Réunion des goûts, indem er sich beider Idiome auf persönliche Weise bedient: Nr. 1 in g-Moll beginnt à la française mit einer Ouverture und setzt mit einer Aria fort; Nr. 6 in A-Dur, Concerto überschrieben und mehr dem italienischen Stil verpflichtet, eröffnet mit einem Allegro, dem ein Larghetto folgt. Beide Sonaten schließen mit einer virtuosen Gigue.
Auch Louis-Gabriel Guillemain (1705-1770) gehört zu den gefeierten französischen Geigern des 18. Jahrhunderts, Jean-Marie Leclair war einer seiner Lehrer. Guillemain stellt seine sechs Sonaten op. 13, von denen Johannes Pramsohler und Philippe Grisvard drei hier spielen, ebenfalls unter den Titel Pièces de clavecin en Sonates avec accompagnement de violon, doch auch hier ist die Ebenbürtigkeit der Instrumente Programm. Weitere „Sonaten“ von Jacques Duphly (1715-1789), Claude Balbastre (1727-1799), Luc Marchand (1709-1799), Michel Corette (1707-1795) und Charles-François Clément (ca. 1720-1782) machen diese Doppel-CD zu einem Kaleidoskop der französischen Violinmusik zu Zeiten Königs Ludwig XV.
Kraft, Eleganz und Raffinesse machen laut der Vorstellung dieser CD auf der Website des Labels Audax die Bauart des französischen Cembalos aus, dieselben Qualitäten gelten auch für die hier versammelte Musik: Mit dieser ihrer dritten CD als Duo zeigen Johannes Pramsohler und Philippe Grisvard, dass es immer noch viel Lohnendes in der Alten Musik zu entdecken gibt (die Kompositionen von Marchand, Guillemain und Clément erklingen hier in Ersteinspielung).
Überdies erweisen sich die beiden Künstler als ideale Fremdenführer für diese Reise in die weitgehend unbekannte Landschaft der Kammermusik für Cembalo und Violine aus der Zeit Ludwigs XIV. Bei der inzwischen offensichtlich vergriffenen Aufnahme von Mondonvilles Sonaten op. 3 mit Gustav Leonhardt und dem schwedischen Geiger Lars Frydén führte noch deutlich Leonhardt mit dem Cembalo das Regiment, eine gleichberechtigte Partnerschaft der Künstler wie zwischen Johannes Pramsohler und Philippe Grisvard mochte hier nicht aufkommen. Bei aller Entschlossenheit im solistischen Auftritt lässt es Johannes Pramsohler, ebenso wie sein Mitstreiter Philippe Grisvard, nie an einer wichtigen Qualität für die Interpretation französischer Musik fehlen – das ist die „Souplesse“, die im Deutschen mit „Geschmeidigkeit“ zu übersetzen wäre.
Detmar Huchting [18.04.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Jean-Joseph Cassanéa De Mondonville | ||
1 | Sonate g-Moll op. 3 Nr. 1 für Violine und Cembalo | 00:07:53 |
Louis-Gabriel Guillemain | ||
4 | Sonate D-Dur op. 13 Nr. 5 für Violine und Cembalo | 00:15:57 |
Jacques Duphly | ||
7 | La de Casaubon (Troisième Livre de Pièces de Clavecin) | 00:02:49 |
8 | La du Tailly (Troisième Livre de Pièces de Clavecin) | 00:02:52 |
9 | La de Valmallette (Troisième Livre de Pièces de Clavecin) | 00:02:48 |
Michel Corrette | ||
10 | Sonate e-Moll op. 25 Nr. 4 für Violine und Cembalo | 00:08:03 |
Louis-Gabriel Guillemain | ||
13 | Sonate g-Moll op. 13 Nr. 6 für Violine und Cembalo | 00:14:04 |
Claude Bénigne Balbastre | ||
16 | Sonate Nr. 1 G-Dur für Violine und Cembalo | 00:09:20 |
CD/SACD 2 | ||
Louis Marchand | ||
1 | Première Suite avec accompagnement de violon a-Moll | 00:12:34 |
Jean-Joseph Cassanéa De Mondonville | ||
4 | Sonate A-Dur op. 3 Nr. 6 für Violine und Cembalo | 00:09:49 |
Jacques Duphly | ||
7 | Ouverture (Troisième Livre de Pièces de Clavecin) | 00:03:13 |
8 | La de May (Troisième Livre de Pièces de Clavecin) | 00:03:07 |
9 | La Madin (Troisième Livre de Pièces de Clavecin) | 00:02:52 |
Louis-Gabriel Guillemain | ||
10 | Sonate c-Moll op. 13 Nr. 4 für Violine und Cembalo | 00:10:44 |
Charles-François Clément | ||
13 | Sonate Nr. 1 c-Moll (Sonates en trio pour clavecin et un violon) | 00:09:00 |
Interpreten der Einspielung
- Philippe Grisvard (Cembalo)
- Johannes Pramsohler (Violine)