Emil Nikolaus von Reznicek
Benzin
cpo 777 653-2
2 CD • 1h 33min • 2010
31.01.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der österreichische Komponist Emil Nikolaus von Reznicek (1860-1945) verdankt seinen Nachruhm einer einzigen Nummer, die bis heute zu den Hits der Wunsch- und Promenadenkonzerte gehört: der Ouvertüre zu seiner Oper Donna Diana (1894). Vor Jahren hat das Theater in Kiel den Beweis erbracht, dass auch das dazugehörende Stück es verdient, aufgeführt zu werden (cpo 999 991-2). Doch die anderen Bühnenwerke gerieten in Vergessenheit. Eine Oper mit dem Titel Benzin (1929) blieb sogar völlig im Dunkeln, bis sie im November 2010 in Chemnitz ihre verspätete Uraufführung erlebte.
Wie schon bei Donna Diana gab ein spanisches Drama des 17. Jahrhunderts die literarische Vorlage ab, Calderón de la Barcas Über allen Zauber Liebe, das die Episode von Odysseus und Kirke aus Homers Odyssee aus dem Geiste des Barock neu deutet. In der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel hat das Stück die Romantiker entzückt, die vom Frauenbild der Weimarer Klassik abrückten, hundert Jahre später, in der ersten Blütezeit der Emanzipation, wurde es wieder aktuell. 1911 hat Max Reinhardt es mit der jungen Tilla Durieux in Berlin herausgebracht. Reznicek wird diese Aufführung wohl gesehen haben, denn er war künstlerisch eng mit Reinhardt verbunden, für den er Bühnenmusiken zu Strindberg-Stücken schrieb. Bei Strindberg wie bei Calderón fand er sein Lieblingsthema, den Kampf der Geschlechter, literarisch ausgeprägt.
Die erste Atlantik-Überquerung des Zeppelins im Jahre 1928 brachte ihn auf die Idee, den alten Mythos von Odysseus und Kirke für die moderne Zeit neu zu bearbeiten und er griff dabei – als sein eigener Librettist - auf Calderóns Drama zurück. Kommandant Ulysses Eisenhardt (!) muß wegen einer Benzin-Havarie seines Zeppelins auf einer unbenannten Insel notlanden und trifft dort auf die attraktive Milliardärstochter Gladys Thunderbolt, zu deren Spleens es gehört, Männer mittels Hypnose dazu zu zwingen, Tier-Identitäten anzunehmen. Eisenhardts Mannschaft verfällt ihrem Zauber, er selbst aber widersteht und reizt damit die Gekränkte, ihn mit anderen Mitteln kleinzukriegen. Anders als bei Calderón gibt es in der Oper ein Kintopp-mäßiges Happy-End: Gladys/Kirke stürzt sich nicht in den Krater eines Vulkans, sondern entschwebt unter den „Zepp-Ahoi!“-Rufen der Flughafenarbeiter mit dem bislang uneingestanden Geliebten im aufgetankten Zeppelin ans Ende der Welt.
Das Libretto ersetzt den hohen Ton des spanischen Dichters durch flott-flapsige Reime und Sprüche. Die Musik fügt so ziemlich alle Strömungen der 20er Jahre zu einem schillernden Pasticcio zusammen: Die mythologischen Musikdramen von Richard Strauss treffen auf die aktuelle Revue-Operette, impressionistische Klänge setzen die Opfer der Zauberin in Hypnose, Foxtrott und Tango machen den Liebeshungrigen Beine und unvermittelt kracht eine Jazz-Band auf der Bühne in die spätromantischen Orchesterwogen. Die Versatilität des Komponisten in der Behandlung und übergangslosen Verquickung der Stile, mit der ein musikalisches Zeitpanorama geschaffen wird, kann man nur bewundern. Ein Schwachpunkt der Komposition sind die dürren und oft ziemlich langen Rezitative, die man durch gesprochene Dialoge ersetzen sollte.
Die Ironie der Geschichte wollte es, dass Benzin, eine Zeitoper par excellence, zu ihrer Zeit nicht zur Aufführung kam. In Hamburg und Leipzig lehnte man das Stück ab - nicht aus künstlerischen Gründen, sondern wegen angeblicher Ähnlichkeiten der handelnden Personen mit den Akteuren des realen Zeppelin-Flugs. Und so musste die Oper 81 Jahre warten, bis sich das entdeckungsfreudige Theater in Chemnitz ihrer annahm und ihre Spielbarkeit unter Beweis stellte. Dabei reizte die Inszenierung des Briten Martin Duncan, die ich bei der Premiere erlebte, die Möglichkeiten des Stückes nicht aus, sondern präsentierte es nach dem Willen der Intendanz, die auf Nummer Sicher gehen wollte, als „Oper für die ganze Familie“.
Musikalisch blieben jedoch keine Wünsche offen, wie jetzt bei der späten Veröffentlichung auf CD nachzuprüfen ist. Der seinerzeitige GMD Frank Beermann machte das Projekt zur Chefsache und glänzte mit einer Einstudierung, der es an Sorgfalt und liebevoller Detailarbeit nirgends mangelt. Die Robert-Schumann-Philharmonie zeigt sich im spätromantischen Klangrausch ebenso zuhause wie in der kammermusikalischen Delikatesse des Notturno und in den beschwingten U-Musik-Rhythmen. Mit dem Sänger-Ensemble ist einiger Staat zu machen. Die beiden Hauptrollen sind mit dem Tenor Carsten Süss (Ulysses) und der Sopranistin Johanna Stojkovic (Gladys) rollendeckend attraktiv besetzt, aus dem tüchtigen Ensemble ragt des weiteren die Koreanerin Guibee Yang als kokette Violet heraus, deren blitzblanke Koloraturen an Zerbinetta denken lassen.
Ekkehard Pluta [31.01.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Emil Nikolaus Reznicek | ||
1 | Benzin (Ein heiter phantastisches Spiel mit Musik in zwei Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Kouta Räsänen (Jeremias Thunderbolt, Milliardär - Baß)
- Johanna Stojkovic (Gladys, Jeremias Thunderbolts Tochter - Sopran)
- Guibee Yang (Violet, Gladys' Freundin - Sopran)
- Susanne Thielemann (Lissy - Sopran)
- Tiina Penttinen (Nell - Alt)
- Thomas Mäthger (Joe M. Plumcake, alter Verehrer der Gladys - Baß)
- Heidrun Göpfert (Die Alte - Sopran)
- Matthias Winter (Meyer, Hausknecht im Palast der Gladys - Bariton)
- Carsten Süss (Ulysses Eisenhardt, Kommandant des Z. 69 - Tenor)
- Andreas Kindschuh (Freidank, Ingenieur - Bariton)
- André Riemer (Emil Nikolaus Machullke, Funker - Tenor)
- Martin Gäbler (Franz Xaver Obertupfer - Baß)
- Chor der Oper Chemnitz (Chor)
- Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz (Orchester)
- Frank Beermann (Dirigent)