Jonas Kaufmann
Mahler
Das Lied von der Erde
Sony Classical 88985389832
1 CD • 61min • 2016
03.05.2017
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Schon als Gesangsstudent war Jonas Kaufmann von Gustav Mahlers Lied von der Erde fasziniert, das er in Otto Klemperers exemplarischer Einspielung mit Fritz Wunderlich und Christa Ludwig kennen lernte. Später hat er in Konzerten oft den Tenorpart übernommen und war nach eigenem Bekenntnis manchmal etwas neidisch auf die Bariton- und Mezzo-Kollegen, die nach seiner Einschätzung noch dankbarere Lieder zu singen hatten. Warum sollte er nicht einmal alle sechs Lieder des Zyklus alleine übernehmen? Unterdessen ist er berühmt genug, dass er sich einen solchen Wunsch erfüllen konnte. Der ist aber mehr als sportliche Herausforderung einzuschätzen, entspringt keiner künstlerischen Notwendigkeit, denn aus dem Kontrast der hohen und der tiefen Stimme bezieht das Werk wesentliche musikalische und dramaturgische Innenspannung. Und welcher Sänger verfügt schon über so viele Stimmfarben, um diese Kontraste herzustellen? Kaufmann, so viel ist vorwegzunehmen, verfügt darüber nicht.
Ein halbes Dutzend Alben in kürzester Zeit - von Verdi und Puccini über Schuberts Winterreise bis zur leichteren Muse: deutschen Operettenliedern und italienischen Kanzonen - wollen den deutschen Superstar als Alleskönner ausweisen. Und damit als den legitimen Nachfolger von Plácido Domingo, der ihn übrigens selbst als solchen apostrophiert hat.
Als kritischer Hörer ist man geneigt, hier ein Domingo-Syndrom auszumachen. Wie der ältere Spanier hat sich Kaufmann einen international kompatiblen Vortragsstil angeeignet, der stilistische Unterschiede zwischen den Genres und Epochen nivelliert, auf den schieren Appeal der Stimme, auch auf das Charisma des Erfolgreichen setzt.
Im Falle von Mahlers Lied von der Erde bleibt das Resultat unbefriedigend. Wie Domingo ist Kaufmann kein Tenor-Bariton (das war etwa Ramon Vinay), sondern lediglich ein baritonal gut geerdeter Tenor. Die tiefere Stimmlage ist ihm zwar zugänglich, aber die Stimme hat dort – vor allem in den ruhigen Passagen von „Der Abschied“ - nur wenig Resonanz und keinerlei Glanz. In den Tenorliedern wiederum fehlt die Flexibilität, da dominiert vor allem im „Trinklied vom Jammer der Erde“ ein aggressiver Ton, eine opernhafte Attacke. Man spürt die gezielte Entwicklung zum Heldentenor, der im Juni an der Covent Garden Opera sein Rollendebut als Otello geben wird. Da sind lyrische Sänger wie Julius Patzak (bei Bruno Walter, 1952) und Fritz Wunderlich (bei Klemperer, 1964) deutlich glücklicher besetzt. Und obwohl Kaufmann wie stets sehr textverständlich singt, vermittelt er doch kaum den Inhalt der nicht leicht zugänglichen Texte.
Das führt zu deutlichen Spannungsverlusten, die von den Wiener Philharmonikern unter Jonathan Nott nicht aufgefangen werden. Der britische Dirigent hat sich durch den Symphonien-Zyklus mit den Bamberger Symphonikern, der bei Tudor veröffentlicht wurde, große Reputation als Mahler-Interpret erworben, aber hier dirigiert er eher im alfresco-Stil, effektbewußt, aber ohne den großen symphonischen Atem und ohne das Gespür für die feineren Klangvaleurs. Vor ein paar Jahren war in einem wieder entdeckten Wiener Konzertmitschnitt unter Josef Krips (mit Fritz Wunderlich und Dietrich Fischer-Dieskau) die Jugendstil-Nähe im instrumentalen Farbenspiel erlebbar. Der bleibt für mich, neben den erwähnten Klassikern unter Walter und Klemperer, die Referenzaufnahme des Werkes.
Ekkehard Pluta [03.05.2017]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Das Lied von der Erde für Tenor, Bariton und Orchester |
Interpreten der Einspielung
- Jonas Kaufmann (Tenor)
- Wiener Philharmoniker (Orchester)
- Jonathan Nott (Dirigent)