L'Ange e le Diable
Leclair • Tartini • Forqueray • Locatelli
Alpha Classics Alpha 255
1 CD • 64min • 2015
11.12.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wenn mich eins noch mehr ergötzt als eine wohlgeratene Interpretation, so dies: dass mich das aktuelle Erlebnis über sich selbst hinaus in den historischen Kontext hineinzieht und für bisher nur unregelmäßig besuchte Gebiete begeistert. Das ist dieser Produktion gelungen. Sicher, man hat schon (von) Signore Locatelli und Monsieur Leclair gehört, ist in einige Piècen des Herrn Forqueray gelaufen und kennt die phantasmagorische Erscheinung des trillernden Teufels, der Giuseppe Tartini zu seiner berühmtesten Sonate angestachelt hat. Manches hat mich mehr, anderes weniger direkt angesprochen, doch am Ende blieb oft genug die Grauzone zwischen „Nun ja” und „Je nun”.
Dieses „frische Steingrau“ gibt es bei Chouchane Siranossian und Jos van Immerseel nicht. Als „Engel und Teufel“ sind die beiden angetreten, und schnell zeigt sich, dass das Motto weit mehr ist als das Destillat der Worte, mit denen die französisch-armenische Geigerin ihren kleinen Begleittext beginnt: „Leclair spielte wie ein Engel, Locatelli wie der Teufel”, zitiert sie den deutsch-niederländischen Organisten Jacob Wilhelm Lustig (1706-1796), der die beiden herausragenden Repräsentanten des französischen und italienischen Saitenspiels am Hofe des Hessischen Landgrafen hatte hören können.
Gleich das Adagio, mit dem Locatelli seine d-Moll-Sonate eröffnet, ist in seiner Sprachgewalt atemberaubend und macht uns mit zahllosen kleinen Drückern, Schnörkeln, ausgekostetem Zierrat auf einiges gefasst. Auf die schlangenartig sich windende Chromatik des nachfolgenden Allegro etwa, auf die arkadische Pastorale des Andante und die leichtfüßig dahintrippelnden Figürchen des vierten Satzes. Und doch trifft das abschließende Solo-Capriccio mit seinen unter- und überirdischen Regionen, seinen derb-satanischen Kapriolen, seinem kaum mehr wahrnehmbaren Gewisper wie ein Blitz: Locatelli habe, so weiß Herr Lustig, auf der Violine „sehr harmonieux“, allerdings auch so rüde sein können, dass es zarten Ohren unerträglich fiel.” Wer’s nicht glauben will, der höre!
Als „engelhafte” Antithese dann Jean-Marie Leclair, in dem das weit gespannte Wechselspiel der beiden Musiker genauso deutlich zu Tage tritt: Das delikate, zart besaitete Akkompagnement hält die eloquenten Extravaganzen der Geige stets auf Kurs, erzeugt ein feingliedriges Gegengewicht und dient als Orientierungspunkt, zu dem auch die spektakulärsten Höhenflüge und radikalsten Psychogramme wieder und wieder heil zurückfinden.
Diese Funktion erfüllen im Gesamtgefüge des Recitals die vier Sätze aus Antoine Forquerays c-Moll-Suite, die Immerseel in einen verhaltenen, gewissermaßen „herbstlich-erdigen“ Ton kleidet, bevor mit Tartini noch einmal die Wogen hochgehen: Zigeunerisch gewürzte Linien, prickelnde Akzente und der immer intensiver, beschwörender zupackende Tanzrefrain des Schluss-Satzes sträuben nicht nur die Bogenhaare. Und genau das ist ja Sinn und Zweck der Veranstaltung: Den heutigen Ohren einige der Schrecken mitzuteilen, die das zeitgenössische Publikum bei solcher Musik empfand. Das kann man übertreiben, keine Frage. Man kann es aber auch in einem so gelungenen Geschmacksrahmen tun wie Chouchane Siranossian und Jos van Immerseel – mit dem Ergebnis, dass Locatelli, Leclair & Co. nicht mehr nur Lustig, sondern außergewöhnlich faszinierend sind.
Rasmus van Rijn [11.12.2016]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Pietro Antonio Locatelli | ||
1 | Sonate Nr. 12 d-Moll op. 6 für Violine und B.c. | 00:20:25 |
Jean-Marie Leclair | ||
6 | Sonata No. 8 C major op. 9 for Violin and B.c. | 00:18:44 |
Antoine Forqueray | ||
10 | Suite Nr. 5 c-Moll | 00:10:56 |
Giuseppe Tartini | ||
13 | Sonate g minor op. 1 No. 4 (Teufelstriller-Sonate) | 00:14:08 |
Interpreten der Einspielung
- Chouchane Siranossian (Violine)
- Jos van Immerseel (Cembalo)