BIS 1850
1 CD/SACD stereo/surround • 63min • 2012
04.03.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Maurice Ravels 1912 vollendetes Ballett Daphnis et Chloë ist eines der schönsten und in jeder Hinsicht vollendetsten Meisterwerke des frühen 20. Jahrhunderts. Es ist keine Ballettmusik von eher beliebigem musikalischen Zusammenhang wie die Ballette Strawinskys, sondern funktioniert makellos in voller Länge als durchkomponiertes Werk ohne Erwähnung der Handlung oder tänzerisches Spektakel, und dies wissend hat Ravel seine nicht nur zauberhafteste und luxuriöseste, sondern auch längste Komposition als „Symphonie chorégraphique“ bezeichnet. Also braucht auch der Dirigent einen entsprechenden Überblick über die energetische Entfaltung des Ganzen, einen weiten Horizont und langen Atem. Das ist selten der Fall, und auch in vorliegender Aufnahme nicht wirklich. Natürlich sind die heutigen Spitzenorchester – und zu denen zählen immer mehr der verbliebenen Traditionsklangkörper – auf den Einzelpositionen im Durchschnitt viel besser besetzt als früher, und insofern ist das technische Niveau einer prominenten Aufnahme heute verblüffend hoch und sticht dies betreffend historische Referenzaufnahmen meist aus. So auch hier. Das Rotterdamer Philharmonische Orchester ist ein exzellentes Ensemble und versteht betörend (insbesondere die herausragende Soloflötistin Juliette Hurel), rein intonierend, rhythmisch sehr exakt und mit Verve zu musizieren, und mit dem Chefdirigenten Yannick Nézet-Séguin ist man hörbar quasi blind vertraut. Auch die Vocalisen sind beim von Gijs Leenaars einstudierten Niederländischen Rundfunk-Chor in solidesten Händen. Doch Nézet-Séguin hat keine dynamisch zusammenhängende Vision von den drei Akten, er agiert sehr buchstabentreu, aber ohne tieferes Verständnis der harmonischen Fortschreitungen. Ginge es einzig um hervorragend umgesetzte stationäre Klänge, um die Sukzession lokaler Effekte, wäre kein großer Mangel festzustellen, als dass die äußerst leisen Lautstärkegrade oft nicht wirklich umgesetzt oder zu früh verlassen werden, und das Fortissimo oft unstrukturiertes Getöse wird, was allerdings von der ausgezeichneten Klangregie erstaunlich effektiv aufgefangen wird. Letztlich handelt es sich hier um eine klanglich exzellente, orchestral hochvirtuose und im übrigen absolut durchschnittliche Einspielung, die insgesamt im oberen Feld der Aufnahmegeschichte angesiedelt ist. Dass nach diesem so umfangreichen opus magnum die um dieselbe Zeit orchestrierte frühe Pavane pour une infante défunte beigegeben wird (mit dem ausgezeichneten Hornisten Martin van de Merve), ist eine akzeptable, wenn auch nicht ideale Wahl. Aber gut, dieses kleine Stück ist so wunderschön, dass man es immer wieder gerne hört, auch wenn es hier nicht mit der Feinheit und Subtilität – und inneren Hingabe! –ausgeführt wird, die zu wünschen wären. Einwandfrei informierend ist der Booklettext von Jean-Pascal Vachon.
Christoph Schlüren [04.03.2015]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Maurice Ravel | ||
1 | Daphnis et Chloé (Symphonie choréographique) | 00:56:34 |
14 | Pavane pour une infante défunte | 00:05:58 |
Interpreten der Einspielung
- Rotterdam Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Yannick Nézet-Séguin (Dirigent)