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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Northern Lights

Ars Produktion ARS 38 157

1 CD/SACD stereo/surround • 67min • 2014

05.01.2015

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Sollte es eine Tetralogie der Himmelsrichtungen werden, so läuft sie gegen den Uhrzeigersinn: Nach den sehr ansprechenden „Eastern Impressions“ mit ihrer Klavierpartnerin Christina Wright-Ivanova mit Sonaten von Prokofieff und Janácek und Rhapsodien von Bartók und Pancho Vladigerov (Vardar) legt die Geigerin Kathrin ten Hagen bei Ars Produktion mit „Northern Lights“ ihr zweites Album vor, diesmal mit Streichorchester-Begleitung. Diese CD ist so interessant und ungewöhnlich zusammengestellt, dass man gespannt ist, welche Überraschungen uns der Westen und der Süden noch bereiten werden. Kathrin ten Hagen war Studentin von Antje Weithaas und Igor Ozim und Preisträgerin mehrerer großer Wettbewerbe, tritt regelmäßig als Solistin und Kammermusikerin mit prominenten Kollegen auf, lehrt an der Leipziger Musikhochschule und liebt es, auch selten Gespieltes mit ausnehmender Akribie einzustudieren. Für ihre neue CD hat sie nicht nur mit dem Folkwang Kammerorchester aus Essen unter seinem Chefdirigenten Johannes Klumpp hochkarätige Partner zur Seite, sie hat außerdem mit Kurt Atterbergs schwärmerisch romantischer Suite für Violine, Bratsche und Streicher von 1917 ein zauberhaftes Werk für zwei Solisten ausgesucht, in welchem Itamar Ringel den rundum kompetenten Gegenpart liefert.

Das Programm dieser CD ist sehr eigenwillig und disparat zusammengestellt, und es war sicher nicht einfach, eine optimale Reihenfolge der Werke festzulegen. Auf Ole Bulls hinreißende Sennerinnen-Melodie in der höchst feinfühligen Harmonisierung Johan Severin Svendsens Solitude sur la montagne als Einstimmung folgen die umfangreiche Fantasie Vox amoris von 2009 von dem mittlerweile unter Geigern äußerst beliebten lettischen Meister Peteris Vasks, die Atterberg’sche dritte Suite, das Konzert für Violine und Streicher von 1992 des 2013 verstorbenen Schweden Anders Eliasson, und die späte Suite op. 117 von 1929 von Jean Sibelius. Die Klammer und das zentrale Werk sind also von romantischer bzw. nachromantischer Natur, dazwischen liegen zwei recht neue Kompositionen höchst unterschiedlichen Charakters, die zugleich den gewichtigsten Teil der Produktion ausmachen. Als einziger Schwachpunkt erscheint mir, dass nach dem Konzert von Eliasson, das nicht nur die substanziellste und kraftvollste Musik des Programms bildet, sondern auch die transzendenteste, zukunftsweisendste, mit Sibelius’ zwar sehr hübscher und fein gearbeiteter Suite ein Werkchen folgt, das fast ein wenig unterhaltend konventionell im Ton ist und uns sozusagen im Schoß der vertrauten Vergangenheit wieder auffängt, als wäre das Vorangegangene so einfach wieder aufzufangen.

Gerade in den beiden Hauptwerken von Eliasson und Vasks erweist sich Kathrin ten Hagen als eine höchsten Ansprüchen genügende Solistin, die nicht nur technisch makellos agiert, sondern auch mit großer Intensität des Ausdrucks und Noblesse des Tons. Und sie wird von den Folkwang-Musikern unter Klumpp mit detailgenauem Engagement und viel Liebe zur Sache sekundiert, was besonders in der rhythmisch und melodisch intrikaten Faktur Eliassons alles andere als selbstverständlich ist. Klanglich kommt das in der Akustik der Wuppertaler Immanuelskirche allerdings nicht wirklich adäquat zur Geltung, weil die Sologeige zwar nicht ungebührlich in den Vordergrund gestellt, jedoch vom Charakter her viel direkter aufgenommen ist als das Orchester. So kommt auch die Attacke der Solistin viel bestechender zum Tragen als diejenige des Orchesters. Hier, in den bewegten Ecksätzen des Eliasson-Konzerts, eine Balance zu erreichen, ist ohnehin eine extreme Herausforderung, neigte der Komponist in der Vehemenz seines expressiv aufgeladenen Materials doch durchaus zu dynamischen Extremen, die dazu tendieren, das Soloinstrument stellenweise zuzudecken. Dass dies auf der Aufnahme nicht geschieht, wurde auf Kosten eines streckenweise sehr befremdlich unterschiedlich wirkenden Klangbilds von Solo und Orchester erreicht. Bei Vasks ist dieses Problem weit geringer ausgeprägt, und bei den traditionelleren Werken der Aufnahme ist es ohnehin kein Problem.

In Ole Bulls einleitender Melodie spürt man die Beseeltheit und Hingabe der Solistin, der diese so schlichte sangliche wie zeitlos berührende Musik viel bedeutet. Auch Atterbergs Suite steckt mit solchem Zauber an, die beiden Solisten sind unüberhörbar innig aufeinander eingestimmt, und in den extrem verhaltenen Rahmenabschnitten des Pantomime-Mittelsatzes für das Streichorchester alleine kommt in exemplarischer Weise jener introvertiert sehnsüchtige nordische Ton zum Klingen, wie wir ihn nun wirklich nur in der Musik der skandinavisch-finnischen Länder finden. Natürlich findet sich vieles davon auch bei Sibelius, der vielleicht gehofft hat, hier noch einmal an die Popularität seiner Valse triste anschließen zu können, insbesondere im Andantino-Mittelsatz „Frühlingsabend“. Im geschwinden Finale „Im Sommer“ wird die Sologeige durchweg pizzicato begleitet, und hier stellt man sich der besonderen Schwierigkeit, gebundene Töne, also solche, die nicht noch einmal extra angezupft werden, hörbar zu machen, was einzig durch kräftiges Schlagen des Fingers auf die Saite möglich wird, hier jedoch zu einem kaum wahrnehmbaren Resultat führte. Von solchen Kleinigkeiten abgesehen, gelingt die Ausführung vortrefflich, wie auch die emotionale Ekstase und kathartische Idylle bei Vasks, wo über die Zeiten hinweg in einem neuen Volkston eine unmittelbar anrührende und emphatisch an den Hörer appellierende Verbindung manifestiert wird. Auch das ist gewissermaßen unverkennbar „nordische“ Musik baltischer Provenienz. Das Konzert von Anders Eliasson hingegen, jenes Komponisten, den ich für den substanziellsten Meister der Jahrtausendwende halte, hat eigentlich, von einigen möglicherweise zu empfindenden äußerlichen Verwandtschaftsmerkmalen abgesehen, nichts typisch Nordisches an sich. Es ist eine Musik, die in dieser Einzigartigkeit und vollkommenen energetischen Folgerichtigkeit an jedem Ort dieser Welt hätte entstehen können, denn der Komponist ist an keine semantische Tradition angebunden. Gleichwohl ist gerade seine Tonsprache von einer Kontinuität der harmonischen Spannung, die durchaus auf einer Stufe mit den großen Meistern von der Renaissance bis zur klassischen Moderne steht. Seine freie Tonalität hat nichts zu tun mit der traditionellen abendländischen Tonalität, die Harmonik ist in beständiger Bewegung zwischen allen Gravitationszentren hindurch, sie hängt sich an keinem Zentralton auf, kennt keinen Anflug stimmungshaften Verweilens (dies in äußerstem Gegensatz zu Vasks), folgt allein den aus der Motivik sich generierenden Triebkräften, dem „Willen der Musik selbst“, wie Eliasson es gesagt hätte. Zutiefst beeindruckend, wie sich die Solistin und das Streichorchester unter Klumpp in die ungeheuren Komplexitäten, Finessen und Abgründe dieser Musik hineinbegeben haben, wie sie diese Musik nicht fehlgeleitet als Spiel der Klänge und Gesten zu begreifen versuchen, sondern als absolut musikalisch aus seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten sich kreierendes dramatisches Kontinuum. So kann so mancher Hörer den Weg zu dieser wahrhaft unerhörten neuen Musik finden. Auch der unkonventionell zwischen Kommentar und originellen Zitaten der Musiker changierende Booklettext ist sehr anregend und ansprechend gelungen.

Christoph Schlüren [05.01.2015]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Ole Bull
1Solitude sur la Montagne 00:03:04
Pēteris Vasks
2Vox amoris für Violine und Streichorchester (Phantasie) 00:21:20
Kurt Magnus Atterberg
3Suite Nr. 3 op. 19 Nr. 1 für Violine, Viola und Streicher 00:11:50
Anders Eliasson
6Konzert für Violine und Streichorchester 00:20:37
Jean Sibelius
9Suite d-Moll op. 117 für Violine und Streichorchester 00:08:54

Interpreten der Einspielung

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