Emil Nikolaus von Reznicek Symphonies 3 & 4
cpo 777 637-2
1 CD • 71min • 2010
26.09.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Emil Nikolaus von Reznicek (1860-1945) gehört zu den grandios unterschätzten Meistern der Generation Strauss-Mahler, und wie viele andere Vergessene aus jener Zeit verfügte er über schwindelerregende Meisterschaft in jeder Hinsicht: als Melodiker und Harmoniker nicht weniger als als Kontrapunktist und Orchestrator. Nach seinem Tod blieb nichts weiter im Repertoire als die launig unterhaltende Donna Diana-Ouvertüre, mit der sich selbst ein Karajan vergnügte. cpo hat sich schon seit längerer Zeit seines sinfonischen Schaffens angenommen und tondichterische Hauptwerke wie den Sieger oder die Chamisso-Variationen zumindest außerhalb des Konzertsaals wieder zum Leuchten gebracht. Und in der Tat ist es eher die sinfonische Dichtung als die Sinfonie, mit der man Rezniceks Wirken natürlicherweise in Verbindung bringt, zumal der Strauss’sche Tonfall immer wieder zum Greifen nah ist und auch die illustrative, groteske sowie (selbst-)ironisierende Begabung vergleichbar auffallend und treffsicher sind. Unter Rezniceks Sinfonien sind die beiden hier vorgelegten, 1918 und 1919 wie aus einer vergangenen Epoche in die Nachkriegszeit hinüberschillernden die bekanntesten (danach schrieb er noch seine Fünfte, eine Tanz-Sinfonie, in welcher er noch einmal zum Besten gab, was er, wohl auch in der Selbsteinschätzung, am besten konnte).
Frank Beermann leitet sein trefflich bewährtes Chemnitzer Orchester, und wieder wird auf hohem Niveau die intrikate Faktur luxuriös nachromantischer Fakturen ausgeleuchtet, mit untadeliger Präzision auf stilgerechte agogische Flexibilität bedacht. Die Dritte Sinfonie trägt den Untertitel „im alten Stil“ und löst bezüglich des gestischen Äußerlichen (ähnlich wie die im Jahr zuvor vollendete Symphonie classique des drei Jahrzehnte jüngeren Sergej Prokofieff) diesen Anspruch wirkungsvoll ein, ohne wirklich klassisch im Geist zu sein – was nun auch wirklich nicht sein muss. Wie bei Prokofieff in der Gavotte der Tänzer am Ende einschläft, treibt auch Reznicek unentwegt allerlei Schabernack mit den vor allem auf Beethoven fußenden Mustervorlagen. Einem komplexer angelegten Kopfsatz folgt ein zauberhaft fein gewobenes Andante. Das motivisch von Schubert inspirierte Menuett überrascht mit frappierend umherspringenden, harmonisch ausgelassenen Späßen und wird von einem gemesseneren Ländler-Trio kontrastiert. Im Finale wurde für ein Allegretto con anima ein zu schnelles Grundtempo gewählt (bezeichnenderweise ist das Tempo dann auch im Booklet falsch mit „Allegro con anima“ angegeben), das eher an den Kopfsatz von Mendelssohns Italienischer Sinfonie erinnert als jene schwungvoll-tänzerisch raffinierte Pastorale-Gemütlichkeit zum Ausdruck bringt, die dem Komponisten vorgeschwebt hat. Entgegen dem Höreindruck wollte der Komponist hier ausdrücklich keine Tempokontraste, sondern schreibt an zweifelhaften Stellen stets „L’istesso tempo“ vor, nur kurz vor Schluss ist es einmal „Poco maestoso“, um über ein „Animando“ wieder ins Haupttempo zu führen. Um all das natürlich ausmusiziert zu gewährleisten, wähle man kein zu forsches Grundtempo!
Die 1919 komponierte Vierte Sinfonie in f-Moll ist wohl Rezniceks bedeutendster Beitrag zum Genre. Sie ist ein in jeder Hinsicht makelloses Werk, wie ihre Vorgängerin formal vollkommen ausgewogen und darüber hinaus noch um einige Grade eigenwilliger. Und ja, auch hier werden wir oft genug an Strauss erinnert, der den vier Jahre älteren Reznicek sehr nonchalant herablassend behandelt hat, und auf der vom Komponisten bewusst eingeführten Ebene sind die Pranken des Löwen Beethoven eingestanzt. Dies gilt insbesondere für den langsamen Satz, eine Marcia Funebre, die die pfiffige Überschrift „Trauermarsch auf den Tod eines Komödianten“ trägt und das tragische Element des großen Klassikers mit offenkundigen Anklängen an den Eroica-Trauermarsch, die dann sinfonisch eigentümlich anverwandelt und verarbeitet werden, ins bizarr Biedermeierliche überführt. Ein herrliches Stück „Musik über Musik“, das eben gerade nicht den Anspruch erhebt, bedeutend zu sein, sondern eine humorvolle Verbeugung vor der Tradition darstellt. Überhaupt sind beide Sinfonien so etwas wie raffiniert ausgetüftelte, klanglich exquisite, zum eigenen Vergnügen geschriebene Kommentare zur sinfonischen Tradition. Ein Könner greift in die Zauberkiste und betört uns mit illusorischen Requisiten in einem die Kenner erquickenden, immerzu kurzweiligen und absolut folgerichtig entwickelten, dabei aber von prickelnden Überraschungen überquellenden Elaborat aus Geschichte und Gegenwart. Und immer ist das tänzerische Element zur Hand, in allen Varianten lyrischen Überschusses. Ich stelle mir im Trauermarsch ein breiteres Tempo vor, ohne dass die doppelbödige Ironie verloren ginge. Im „Poco meno allegro“-Trio des Scherzos stören mich zu kurz gespielte Notenwerte vor allem der Streicher mehr als anderswo – wie schön wäre es, würde wieder mehr Wert auf solche Finessen gelegt. Im Finale dieser Sinfonie arbeitet Reznicek nun wirklich mit deutlich kontrastierenden Tempi, und folglich ist dieser Satz auch am schwersten energetisch kompakt darzustellen und auch rhythmisch heikler als die anderen Sätze. Alles in allem gelingt der Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann, eingedenk der erwähnten Einschränkungen, eine sehr frische, detailbedachte, sorgfältige Einspielung. Es ist zweifellos sehr dankbare Musik fürs Publikum, auch wenn manchen Kritiker vielleicht das konservative Salz in der Suppe stören dürfte. Aufnahmetechnisch ist das Orchester vortrefflich durchsichtig abgebildet, was natürlich auch der exzellenten Orchestrationskunst Rezniceks zu verdanken ist. Und im Booklet scheint Eckhardt van den Hoogen, der wie stets so launig plaudernd wie informativ ergiebig zu Werke geht, über die Zeiten hinweg einen Seelenverwandten entdeckt zu haben.
Christoph Schlüren [26.09.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Emil Nikolaus Reznicek | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 D-Dur | 00:30:34 |
5 | Sinfonie Nr. 4 f-Moll | 00:40:36 |
Interpreten der Einspielung
- Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz (Orchester)
- Frank Beermann (Dirigent)