Werke für Violine und Violoncello
SWRmusic 93.301
1 CD • 64min • 2008
25.06.2013
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Friedemann Eichhorn und Alexander Hülshoff überraschen uns mit einem höchst eigentümlichen, dramaturgisch spannungsvoll zusammengestellten ungarischen Duo-Recital für Violine und Cello. Beide sind hochkarätige Solisten und haben sich offensichtlich die Zeit genommen, sich makellos aufeinander einzuspielen und mit einer grundlegenden Recherche ein stimmiges Programm klassischer Moderne abseits des Mainstream zusammen zu stellen. Die Musiker verantworten auch gemeinsam den recht informativen Begleittext. Vielleicht hätte es sich bei dieser Gelegenheit angeboten, ein paar Worte mehr zu sagen zu Hilding Rosenberg (1892-1985), der als Vaterfigur der schwedischen Moderne in die Geschichte einging, im Herzen jedoch bei aller Elaboration freitonalen Handwerks ein elegischer Romantiker blieb – und es ist aufschlussreich, dass György Ligetis 1982 entstandene, eineinhalb-minütige Miniatur-Hommage an Rosenberg einen empathisch konzentrierten Tonfall anschlägt, der tatsächlich einen Bezug herstellt. Ligeti, der so befremdet dem expressionistischen Idiom gegenüber stand, evoziert hier auf engstem Raum fesselnde Ausdrucksdichte, und die beiden Musiker erweisen der fast schon orchestral visionierten Sonorität des Duo-Satzes ihre exquisite Reverenz.
Mit Ligetis kleiner Hommage wird die Coda des Recitals eingeleitet, bestehend aus sieben weiteren Miniaturen vom großen Klassiker Ungarns: Es ist bestechend, wie frisch und „unbearbeitet" die Arrangements der Auswahl von Bartók-Geigenduos im selbst verfertigten Arrangement von Eichhorn und Hülshoff klingt. Die beiden sind hier scheinbar spontan mit dem Ausdruck verwachsen und vermitteln eine sprühende Freude an den so urtüümlich ausgeprägten Charakteren, die in eine die Kontraste sinnfällig kontrapunktierende Abfolge gebracht sind, um unerwartet mit einem Pizzicato-Allegretto zu schließen.
Zu Beginn erklingt mit Zoltán Kodálys großem dreisätzigen Duo op. 7 von 1914 der prominenteste und formal anspruchsvollste Beitrag zur Gattung, und es gelingt durchaus, den improvvisando-Abschnitten den Anschein zu verleihen, sie entstünden ganz unmittelbar aus dem Moment. Eine rundum sehr souveräne Aufnahme.
Eine großartige Entdeckung ist – wieder einmal bei diesem heute so selten zu hörenden Komponisten, der im englischen Exil eher unauffällig wirkte und mit Peter Racine Fricker einen der überragenden vergessenen Meister der nächsten Generation ausbildete – die 1945 im Druck erschienene Sonata da camera von Mátyás Seiber (1905-60). Seiber, Schüler Kodálys, hatte ab 1928 eine Jazz-Klasse am Hoch'schen Konservatorium zu Frankfurt geleitet, bevor er 1945 nach England emigrierte. Er hat sich wie viele in seiner Generation die dodekaphonische Technik angeeignet, doch ging er im Folgenden frei damit um und es ist nicht verwunderlich, dass wir im vorliegenden Werk auf deutliche Jazz-Anklänge in der expressiv dissonanten, rhythmisch und kontrapunktisch sehr lebendigen Faktur stoßen. Einem inwendig ausdrucksvoll kontrapunktierenden, gleichwohl nüchtern beherrschten und fast asketisch linear geführten Molto sostenuto, un poco rubato folgt ohne Unterbrechung ein weit gesponnenes, in der Bewegungsqualität fesselndes Allegro misterioso, dessen animierende Impulsivität teils aus explosiver 2:3-Rhythmik herrührt.
Auf Seiber folgt ein frappierender Perspektivwechsel – wie Bartók kein Originalwerk für die Besetzung, doch so bearbeitet, dass man nichts vermisst, wenn man die ursprüngliche Musik nicht kennt – eine Musik, die hier sozusagen den Geist des älteren Ungarn dem der neuen Sachlichkeit entgegenstellt und den Hörer in der Vertrautheit des Idioms entspannt durchatmen lässt: der kunstreiche, für die Solisten so dankbar melismatisch geschriebene Variations-Mittelsatz aus der für Heifetz und Primrose geschriebenen Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester op. 29 (1966) von Miklós Rózsa (1907-95). Das Arrangement für Geige und Cello von Boris Gurevich ist vorzüglich gelungen und hinreißend musiziert; dass Rózsa wie Korngold weit mehr als ein vorzüglicher Hollywood-Komponist war, muss eigentlich nicht mehr gesagt werden…
Hinsichtlich der kompositorischen Substanz der dünnste Beitrag – in einem sehr herausfordernden Umfeld! – ist Polyphon et homophon op. 2, ein Frühwerk des großen Geigers und Bartók-Intimus Zoltán Székely (1903-2001; er spielte 1939 mit dem Concertgebouw Orkest unter Mengelberg die Uraufführung von Bartóks 2. Violinkonzert, die als Tondokument erhalten geblieben ist). Das ist sehr gekonnt geschrieben, aber im Andante espressivo-Kopfsatz doch etwas formelhaft in Richtung Duo-Etüde geraten – ein Eindruck, den die Ausführenden nicht ganz aus der Welt schaffen können. Das nachfolgende Con fuoco zündet mit folkloristischer Musikantik im Fahrwasser von Bartók – auf jeden Fall in ihrem einerseits simplen, andererseits instrumental feurigen Geist eine Musik, die viel Freude bereitet.
Fazit: eine hochkarätige Zusammenstellung, glänzend präsentiert und einige Schätze enthaltend, die wir gerne öfter hören werden. Man darf gespannt, welcher Region sich Eichhorn und Hülshoff beim nächsten Mal widmen werden – es gibt noch so viel unentdeckte Literatur für Violine und Cello. Auch klanglich ist diese Einspielung tadellos. Lediglich das Cover-„Artwork" kann ich, freundlich gestimmt, nichts weiter als uninspiriert nennen.
Christoph Schlüren [25.06.2013]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Zoltán Kodály | ||
1 | Duo op. 7 für Violine und Violoncello | 00:23:39 |
Mátyás Seiber | ||
4 | Sonata da camera für Violine und Violoncello | 00:12:22 |
Miklós Rózsa | ||
6 | Tema con variazioni op. 29a | 00:11:20 |
Zoltán Székely | ||
7 | Polyphon et homophon op. 2 | 00:07:04 |
György Ligeti | ||
9 | Hommage à Hilding Rosenberg (den Geist Bartóks beschwörend) | 00:01:26 |
Béla Bartók | ||
10 | Duo No. 26 for 2 Violins (Spottlied) | 00:00:24 |
11 | Duo No. 27 for 2 Violins (Hinke-Tanz) | 00:00:25 |
12 | Duo No. 35 for 2 Violins (Ruthenische Kolomejka) | 00:01:02 |
13 | Duo No. 33 for 2 Violins (Erntelied) | 00:01:36 |
14 | Duo No. 42 for 2 Violins (Arabischer Gesang) | 00:01:09 |
15 | Duo No. 29 for 2 Violins (Gram) | 00:02:24 |
16 | Duo No. 43 Sz 98 (Pizzicato) | 00:00:54 |
Interpreten der Einspielung
- Friedemann Eichhorn (Violine)
- Alexander Hülshoff (Violoncello)