Bridges to Infinity
Violin Concerto • Viola Concerto • Symphony Nr. 8 "The Bell"
Works by Enjott Schneider

Solo Musica SM 475
1 CD • 81min • 2024
11.06.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In der polarisierten Landschaft zeitgenössischer Musik, wo sich akademische Komplexität und kommerzielle Zugänglichkeit oft unversöhnlich gegenüberstehen, bleibt der Münchner Komponist Enjott Schneider einem dritten Weg mit Konsequenz und kraftvoller Überzeugungskraft treu. Seine neue CD-Produktion "Bridges to Infinity" auf Solo Musica –erschienen anlässlich seines 75. Geburtstags – dokumentiert nicht nur ambitioniertes kompositorisches Können, sondern auch eine langjährige spirituelle Erkundung mit Musik als Medium.
Um nichts Geringeres als den befreienden „Blick in die Unendlichkeit" soll es bei den drei komplexen, neuen Werken gehen und natürlich werden dafür kulturelle und zeitliche Grenzen mit viel konzeptioneller Durchdachtheit überschritten. Vor allem fasziniert Schneiders Gespür für instrumentale Effekte und Klangfarben, ebenso sein Weitblick, wenn es um die Einverleibung von Zitaten und Anspielungen aus unterschiedlichsten Epochen und Kulturen geht. Die Bodensee Philharmonie unter Gabriel Venzago realisiert alle wuchernden, blühenden Klangstrukturen mit bemerkenswerter Präzision und emotionaler Tiefe.
Politische Dimension und schlichte Schönheit
Das Violinkonzert The Birds – Wisdom & Magic eröffnet mit schwebenden Flächen, aus denen sich Friedemann Eichhorns Violine mit beeindruckender Virtuosität und Ausdruckskraft bei außerordentlichen technischen Anforderungen erhebt. Die Orchestrierung besticht durch ihre Transparenz – filigrane Holzbläserpassagen und schimmernde Streicherklänge, die sich phasenweise zu Arabesken aufschwingen, evozieren die Leichtigkeit des Vogelflugs. Besonders eindringlich gerät der Mittelsatz Der Schwan – Das Weiße, in dem Schneider Pablo Casals' Friedenshymne El Cant dels Ocells subtil einwebt – eine musikalische Referenz mit politischer Dimension, die durch ihre schlichte Schönheit berührt.
Viel dunklere Farben trägt das Violakonzert Fatal Harmonies of black Sweetness auf. Hier spielt Schneider auf Gesualdos harmonische Kühnheiten an, was dazu angetan ist, den eher abgründigen Aspekten menschlicher Existenz eine Stimme zu verleihen. Dem nimmt sich Alexia Eichhorn mit melancholischem Timbre und fieberhafter Emphase an, unterwegs in schattigen Klanglandschaften und mit expressiven Ausbrüchen. Überhaupt Gesualdo – dessen musikalisch-harmonische Kühnheit weist aus dem Geist der Renaissance manchmal fast schon bis hin die heutige Avantgrade hinein. Vermutlich hat dieser Umstand auch Enjott Schneider inspiriert, wenn er hier neue Variationen über dessen Madrigal Moro, lasso, al mio duolo geschaffen hat.
Vom alten China bis in die europäische Gegenwart
Um die spirituelle Symbolkraft von Glockenklängen geht es in Schneiders monumentaler Achten Symphonie The Bell – Bridge to Infinity, wo sechs kontrastierende Sätze auf eine kulturhistorische Reise vom alten China bis zur europäischen Gegenwart aufbrechen – unter Einsatz reichhaltiger orchestraler, vokaler und perkussiver Mittel, die mal ostasiatisch, dann wieder orientalisch grundiert sind. Sechs Sätze sorgen hier für mächtige expressive Steigerung: Vom pentatonischen Urklang aus dem Reich des Morgens mit seinen Perkussionsklängen über die Klangkaskaden im Duft der Glöckchen (mit Julia Sophie Wagners eindringlichem Sopran) zu den kontrastierenden Blechbläserfanfaren im Klang der Götter. Nachdem The Bell gekonnt William Byrds Kontrapunkt mit zeitgenössischer Harmonik verwebt, tritt in den Finalsätzen Sehnsucht und Dona Nobis Pacem der renommierte Chor der KlangVerwaltung hinzu, welcher sich anlässlich eines Bachfestivals auf Schloss Herrenchiemsee zusammen gefunden hat. Schließich verschmelzen der Agnus-Dei-Text und Schillers Glocke zum rauschhaften Finale, wieder mit Wagners leuchtendem Sopran im Zentrum. Mehr musikalische Unendlichkeit lässt sich wohl kaum realisieren...
Das Ganze zerfällt bei aller Komplexität nicht in Labyrinthe, denn "Bridges to Infinity" wirkt als greifbarer, mitreißender und tonal zentrierter Spannungsbogen. Dass Enjott Schneider im Alter von 75 Jahren nach über (laut wikipedia) 140 (!) CD-Einspielungen noch immer mit solcher Frische und Überzeugungskraft kühne Territorien erkundet, belegt dessen ungebrochene kreative Vitalität.
Stefan Pieper [11.06.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Norbert Jürgen Schneider | ||
1 | The Birds - Wisdom & Magic (Konzert für Violine und Kammerorchester) | 00:17:43 |
6 | Concerto für Viola und Streicher (Fatal Harmonies of black Sweetness, Variations on Gesualdo's Moro, lasso, al mio duolo) | 00:18:14 |
12 | Sinfonie Nr. 8 (The Bell - Bridge To Infinity) | 00:45:24 |
Interpreten der Einspielung
- Friedemann Eichhorn (Violine)
- Julia Sophie Wagner (Sopran)
- Chor der KlangVerwaltung (Chor)
- Bodensee Philarmonie (Orchester)
- Gabriel Venzago (Dirigent)