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Besprechung CD

Ottavia Maria Maceratini One Cut

aldilá CD 001

1 CD • 80min • 2011

13.07.2012

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Ein neues Label, eine neue Pianistin. Der Erstling der Münchner Company Aldilà Records ist schon optisch aufsehenerregend – entweder das Gesicht ist verkehrt rum, oder die Schrift. Ja, die Künstlerin steht Kopf, und in der Tat handelt es sich um keine alltägliche Aufnahme. Das Programm schlängelt sich labyrinthisch durch die Stilwelten von der melancholischen f-Moll-Sonate K 466 von Domenico Scarlatti über Klassik, Romantik und Debussy ins 20. Jahrhundert, zu dem so bedeutenden wie verkannten Expressionisten Heinz Tiessen und dem jubilierenden Höhepunkt quasi improvisatorischer Luzidität in John Foulds' April-England, wo 1926 sozusagen bereits Keith Jarrett vorweggenommen wird.

Die seltene Fähigkeit, die extrem unterschiedlichen Stile im Kern zu erfassen und die inneren Triebkräfte der Form zur Entfaltung zu bringen, bringt Ottavia Maria Maceratini in bestechender Präzision und Gegenwärtigkeit ein. Und offensichtlich liegt ihr ganz besonders das Wilde, Jagende, der rhythmische Schwung, eben alles, was auf der extrovertierten Ausdrucksskala zuhause ist. Da – zum Beispiel in Franz Liszts Tarantella aus Venezia e Napoli, dem stürmischen Finale der Mondschein-Sonate (das ohne die so häufigen Ritardando-Verzerrungen wie aus einem Guss erscheint und unaufhaltsam seinem Ende entgegen drängt), im Notturno tempestoso aus Heinz Tiessens 1913 entstandener Natur-Trilogie – spielt die 26jährige, in den Marche geborene Italienerin schlicht hinreißend, voll unbändiger Lebenslust und mit einer schon draufgängerisch anmutenden Courage. So viel unbändig erscheinendes, zur Ekstase neigendes Temperament, und zugleich getragen von konsequent erarbeiteter Struktur – das ist schon frappierend. Die Details sind mit Feinschliff verwirklicht und funkeln in spritziger Lebendigkeit, die dynamische Spannweite fesselt in all ihren Abstufungen bis hin in die Extreme von stets tragfähigem pianissimo und nie lärmend knalligem fortissimo. Das ist keine Mezzoforte-Musikerin, da ist ein Fein- und Freigeist tätig, der uns hoffentlich noch viele Überraschungen bescheren wird. Auch überzeugt die Natürlichkeit, unsentimentale Nüchternheit und Unmittelbarkeit dieses Musizierens.

Was noch des öfteren fehlt, ist ein gelassener Atem. Man merkt, dass sie es eilig hat, dass sie dort an ihre Grenzen stößt, wo mit wenigen Noten viel gesagt werden muss, wo Wärme des Gemüts und innere Ruhe Voraussetzung für die großflächige Entwicklung sind. In der Scarlatti-Sonate ist fast durchgängig eine Tendenz zu bemerken, dass die Finger davonlaufen wollen – hier sind Vorstellung und motorischer Drang noch nicht wirklich eins. Und sogar in den Mozart-Variationen, die eigentlich als Ganzes fabelhaft gelungen sind, besteht immer wieder die Neigung zur Eile. Trotzdem, das ist ein vorbildlicher Mozart, eben sehr jugendlich in seinem Drängen. So wunderbar der zweite und dritte Satz der Mondschein-Sonate gestaltet sind: Im Adagio-Kopfsatz ist zu bemerken, was Ottavia Maria Maceratini noch fehlt. Sie beherrscht sich, beherrscht das Tempo, aber man fühlt, dass sie sich kontrolliert, dass sie die großen harmonischen Verläufe nur abschnittsweise erlebt, dass sich der Fluss von alleine so nicht einstellen kann. So kultiviert es auch sein mag, wird man doch das Gefühl nicht los, dass sie sich selbst die Vision noch nicht glaubt. Bei Chopin, obwohl insgesamt eine der treffsichersten Aufnahmen auf dem Markt, irritiert mich streckenweise eine gewisse Verschwommenheit – wenn schon auf so hohem Niveau, warum dann nicht konsequent? Das ist natürlich auch das Problem, wenn man höchste Erwartungen weckt. Das kontrapunktische Gerippe, die rhythmische Stringenz wirken oft von einem Moment auf den anderen unfreiwillig verschleiert. Bei Tiessen, einer Ersteinspielung, handelt es sich um eine in ihrer dunklen Emotionalität, dem reichen Klangbild, der immensen Meisterschaft großformatiger Architektur um großartiges Komposition, und es ist auch fulminant gespielt, wenngleich gegen Ende die Kulminationen einander doch fast zu erschlagen drohen.

Schumanns Träumerei ist höchst originell aufgefasst, wird ungreifbar mysteriös im Mittelteil, doch dann scheint es, als sei die Erforschung dieses Mikrokosmos noch nicht ganz abgeschlossen. Hier hat Ottavia Maria Maceratini einen faszinierenden neuen Weg entdeckt. Möge sie ihn weitergehen. Sie hat den Mut, ein Pionier zu sein, und nimmt die Risiken billigend in Kauf. Ein schöneres Stück, um den Flügel in gesteigertem Figurenwerk erstrahlen zu lassen, als es John Foulds' April-England ist, wüsste ich nicht. Und auch keine lichtere, durchscheinendere Musik, gespielt von einer Musikerin, die die technischen und klanglichen Voraussetzungen mitbringt, um diese Musik aus sich heraus leuchten zu lassen. Dann äußerste Verfeinerung in Debussys Clair de lune – nur jetzt der Wunsch: noch mehr Ruhe, noch mehr Loslassen, noch mehr Vertrauen, dass die Musik sozusagen von selbst sprechen möge. Liszt ist fantastisch, von keinem sonst habe ich so elegante Übergänge gehört, meist wirken die Formteile und auch kleine Abschnitte wie aneinander gepappt. Wie kann man einer so dürftig zusammengenähten Komposition eine solche unwiderstehlich organische Einheitlichkeit abgewinnen? Grandios. Am schönsten ist das neapolitanische Lied, mit den herrlich kapriziösen Wechseln von Clownerie, Melodrama und köstlich veredelter Süffisanz. Alles lebt. Den ebenbürtigen Abschluss bildet Schumanns Widmung in Liszts überschäumendem Arrangement – hier kommen eine Würde und Größe zum Ausdruck, die zu allergrößten Hoffnungen berechtigen.

Mats Schneevoigt [13.07.2012]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Domenico Scarlatti
1Sonate f-Moll K 466 L 118 P 501 – Andante moderato 00:05:45
Wolfgang Amadeus Mozart
29 Variationen über Lison dormait C-Dur KV 264 KV 315d 00:15:29
Ludwig van Beethoven
3Klaviersonate Nr. 14 cis-Moll op. 27 Nr. 2 00:13:51
Frédéric Chopin
6Nocturne b-Moll op. 9 Nr. 1 00:04:57
Heinz Tiessen
7Eine Natur-Trilogie op. 18 (Nacht am Meer) 00:10:50
Robert Schumann
8Träumerei op. 15 Nr. 7 (Kinderszenen op. 15) 00:02:51
John Foulds
9April-England op. 48 Nr. 1 00:07:12
Claude Debussy
10Clair de Lune D flat major L 82/3 – Andante très expressif 00:05:40
Franz Liszt
11Tarantella S 162:3 – Presto 00:08:30
12Widmung op. 25 Nr. 1 00:03:35

Interpreten der Einspielung

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