Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 1
SWRmusic 93.294
1 CD • 76min • 2011
28.03.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„François-Xavier Roth ist einer der charismatischsten und wagemutigsten Dirigenten seiner Generation." Damit ist er, wenn ich der modernen Künstlerbiographik glaube, einer von wenigstens tausend Kolleg(inn)en, die sich allesamt in diesen stratosphärischen Gegenden tummeln. Offenbar gibt es in den Agenturen, die diesen Blödsinn wieder und wieder verzapfen, regelrechte Makros, mit denen man auf Knopfdruck diese Verschleißartikel zusammenhäämmert: warum da nicht endlich mal eine(r) der Betroffenen aufsteht und den Fabrikant(inn)en solcher Schwafeleien das Essen aus der Schnabeltasse beibringt, ist mir ein Rätsel ...
Nehmen wir also unseren gegenwärtigen Kandidaten und prüfen, ob er denn die obigen Qualitäten mitbringt. Ein gewisses Charisma will ich gern glauben, denn Marco Borggreve, dem es immer wieder gelingt, die individuellen Charakterzüge seiner Lichtbild-Objekte überaus treffend einzufangen, hat das auch hier vermocht. Ob es freilich als Zeichen höchster Risikofreude zu werten ist, daß Roth auf die überzählige und – ich sag‘s als glühender Mahlerianer! – letztlich doch überflüssige Blumine verzichtet, um nach einem frühlingsfrischen Titan dem späteren Neutöner Webern seinen köstlichen, erfrischenden Sommerwind um die Nase wehen zu lassen? Gelungen, überzeugend, treffsicher: Das mögen einige der Epitheta sein, die einem dazu einfallen. Doch FX Roth als Rambo? Alles andere als das. Sein Umgang mit Gustav Mahlers erster Sinfonie ist gerade deshalb besonders erfreulich, weil er mit äußerstem Bedacht und dabei ohne jede lehrmeisterliche Bedeutsamkeit den Pulsschlag eines jungen Mannes empfindet, der die „Weltschmerztherapie" namens Alma noch vor sich hat und sich an der Vielgestaltigkeit einer bunten, prächtigen Schöpfung freut. Selbst die trauerhaften Variationen des dritten Satzes – ganz nebenbei auf die Sekunde wie Klaus Tennstedts mustergültiger Produktion – sind nicht aufs große „Ojojoj" berechnet, sondern gewissermaßen prismatische Brechungen der verschiedenen klingenden Luft- und Zeitschichten, die sich hier begegnen: Unmerklich-gekonnte Tempowechsel, schnell und langsam zugleich ablaufende Ereignisse, dazwischen ein wohlwollend-melancholisch nickender Lindenbaum, zu dem die verhaltene, nie wirklich ätzende Ironie der Musik paßt – das ist sympathisch auf eine Weise, die uns den „lieben Jähzorn" nicht glättet, ihn aber auch weder zur unfreiwilligen Karikatur noch zur Niedlichkeit verkommen läßt. Die Tatsache, dass Gustav Mahler schlicht ein großer Komponist war, zählt in dieser Wiedergabe definitiv mehr als alles Gejammer darüber, was alles hätte sein können. Wenn dann auch noch das nicht leicht zu bändigende Finale und die weniger morbide als vielmehr straff gespannte „Zugabe" absolviert sind, ist die eingangs beklagte Worthülsenfrucht beinahe vergessen. Aber eben nur: beinahe!
Rasmus van Rijn [28.03.2012]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 D-Dur (Der Titan) | 00:53:10 |
Anton Webern | ||
5 | Im Sommerwind (Idyll für großes Orchester nach einem Gedicht von Bruno Wille) | 00:12:48 |
Interpreten der Einspielung
- SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Orchester)
- François-Xavier Roth (Dirigent)