Hungaroton HCD 32699
1 CD • 56min • 1987
05.09.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Es sind übrigens echte Puszta- und Zigeunerkinder. Also nicht von mir gezeugt, sondern nur mit Milch und Brot großgezogen" – so Johannes Brahms an seinen Verleger. Hier soll nicht diskutiert werden, bei welchen Stücken uns eventuell doch – nach dem aktuellen Stand der Forschungen – ein Brahmssches Originalwerk oder eine echte ungarische Volksmelodie begegnet. Die Ungarischen Tänze sind de facto keine originären Volks- oder Zigeunerweisen. Es handelt sich um von mitreißender Zigeunermusik angeregte und an die Formen der Klassik angepasste volkstümliche Kunstmusik. Eine Kunstmusik allerdings, die vor Kraft, Ernst und bisweilen eruptivem Temperament, vor Ausgelassenheit, Schelmischem und herrlicher Farbenpracht nur so strotzt. Eine Kunstmusik, die in der Verschmelzung von hypnotisierender Motorik und betörendem melodischen wie harmonischen Schmelz ihresgleichen sucht. Ohne jetzt ins Detail gehen zu müssen: Tänzerische Plastizität, häufige Tempowechsel, Wechsel zwischen Dur und Moll, mitunter extreme agogische Schwankungen und Rubati, unerwartete dynamische Entwicklungen selbst auf engstem Raum – all das zeichnet diese wundervollen und stets hoch gespannten, zwischen kraftvoller Unbekümmertheit und Elegischem oder Melancholischem pendelnden Brahms-Schöpfungen aus.
Wenn nun Hungaroton eine schon 1987 entstandene Aufnahme der Orchesterversion gerade mit einem ungarischen Orchester auf den Markt bringt, so hört man natürlich ganz genau hin. Was das Ungarische Staatsorchester unter der Leitung von Mátyás Antal hier abliefert, ist jedoch einfach nur enttäuschend. Zwar agiert es mit Temperament und Geschmeidigkeit, auch rhythmisches Zupacken ist ihm nicht fremd. Mátyás Antal lässt den hervorragend ausbalancierten Klangkörper präzise artikulieren, zeichnet weite Phrasierungsbögen und formt einen Orchesterklang von großer Wärme. Mit diesem Breitwand-Sound scheinen sich die Ungarn aber zu begnügen (womit sie die Brahms-Äußerung, er wolle eine „Orchestrierung nicht für Gartenmusiken, sondern fürs Gewandhaus" gründlich missverstanden haben). Leider überzeugen weder die gewäählten Tempi noch die Tempowechsel. Auch die Agogik, selbst die Dynamik in puncto Spannung lassen immer wieder zu wünschen übrig. Nicht nur, dass dieser mitreißenden Musik die Zügel zu stark angezogen werden und die Tänze somit eindeutig zu wenig von der ihnen innewohnenden enormen Energie versprühen. Es fehlt dieser Einspielung einfach an Spontaneität und Inspiriertheit, an scharfer Würze und draufgängerischem Musikantentum, auch ein wenig an Extravaganz. Schade. Da bleibt nur der Griff zu der grandiosen Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado aus dem Jahr 1982. Hier brennt die Luft, hier rauben einem zündendes Temperament und hoch gespannte Verhaltenheit bisweilen den Atem, hier ist man kaum vor Überraschungen sicher. Dagegen wirkt die Lesart Mátyás Antals viel zu gesittet, beinahe sogar abgedroschen.
Christof Jetzschke [05.09.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Ungarische Tänze Nr. 1-21 für Orchester |
Interpreten der Einspielung
- Hungarian State Orchestra (Orchester)
- Mátyás Antal (Dirigent)