Ignaz Brüll Piano Works

cpo 777 446-2
1 CD • 73min • 2008
15.09.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Den cpo-Verantwortlichen – und den ihnen verpflichteten Künstlern – sind immer wieder erstaunliche Entdeckungen zu verdanken. Selbstverständlich ist in Fachkreisen der Name des aus dem heutigen Tschechien stammenden Komponisten und Pianisten Ignaz Brüll (1846–1907) ein Begriff, aber wer hat schon einmal Musik von diesem zu Lebzeiten erfolgreichen Interpreten und Autor gehört! Brüll verkehrte privat und in ästhetischer Hinsicht in den Kreisen rund um Johannes Brahms, spielte mit ihm die nichtöffentlichen „Voraufführungen“ von dessen Werken in Fassungen für Klavier zu vier Händen. In seinen eigenen Klavierwerken entfaltete er sein bemerkenswertes, konservativ justiertes Talent im Sinne jener Schumann-Planeten, die (wie etwa Heller) den Meister andächtig umkreisten, ohne ihm (zumindest schöpferisch) je zu nahe zu kommen. Auch barocke Elemente tauchen gelegentlich in seinen Arbeiten auf – ganz im Sinne der führenden Romantiker des 19. Jahrhunderts, die sich auf ganz persönliche Weise auch der Vergangenheit erkenntlich zeigten.
Die aus Thüringen stammende Pianistin Alexandra Oehler hat sich nun der Hinterlassenschaft Brülls angenommen. Mit besonderem Augen- und Fingermerk auf drei größere Projekte: die Sonate in d-Moll op. 73, die Suite nur 2 op. 71 und die Albumblätter für die Jugend op. 33. Hinzu kommen einige ausgewählte Charakterstücke aus größeren Sammlungen, die weitere Eindrücke vermitteln, wie sich Tonsetzer auf engagiertem, letzten Endes aber mittlerem Niveau im langen Schatten von Kapazitäten wie Brahms und Schumann um Resonanz bemühten.
In Nähe zu Mendelssohn Bartholdys Frühlingslied (op. 62,6) ist Brülls Frühlingslied (op. 33,2) zu erleben. Eine pianistisch elegante, atmosphärisch noble Jahreszeiten-Studie, die sich ansprechend in eine Folge von sieben Albumblätter mit plastischen Szenerien fügt (Klage, Im Dorfe, Armer Savoyardenknabe, Glückwunsch). Unerwartet indes von der Themenstellung her die Nummern 5 und 6: zwei knapp gehaltene Menuette im Sinne stilistischer Rückbesinnung, kleine Schmuckstücke in Form des Althergebrachten!
Alexandra Oehler – seit 2001 Leiterin einer Klavierklasse an der Leipziger Musikhochschule – referiert die ihr anvertrauten Werke mit jener pianistischen Anständigkeit, die dem unvorbereiteten Hörer alle Möglichkeiten eröffnet, sich in aller Ruhe mit Brülls Inventionen auseinander zu setzen. Ihr schlanker, niemals fettiger Ton, ihre Umsicht, was die verschiedenen Satzcharaktere anbelangt, vermitteln genügend Anhaltspunkte, wessen Brüll in seinen Suiten, vor allem aber in der viersätzigen, durchaus anspruchsvollen Sonate op. 73 fähig war. Biografische und werkspezifische Einzelheiten werden zudem in Fülle von Katri Schmidinger im Beiheft geliefert. Dabei auch die eine oder andere Intimität im Verhältnis zwischen Brahms und Brüll: „Brahms war oft als einziger Gast bei Marie und Ignaz (Brüll) zu Tisch und kam auch gern nachmittags zu einer Schale Kaffee, zu welcher er mit Wonne einen Hering verzehrte!“ (zitiert nach Hermine Schwaz). Und weiter: „Eine Absage Brahms’ an Brüll wegen einer Essenseinladung wenige Tage vor seinem Tod gilt als die letzte schriftliche Äußerung des großen Meisters.“
Aber auch ich darf noch etwas für die Rubrik des Amüsanten hinzufügen. Mir liegt eine Rundfunkaufnahme vor, die ich als die „lauteste“ aller mir verfügbaren Einspielungen zu bezeichnen wage: Peter Schreier singt, begleitet von Adolf Drescher, Lieder von Ignaz Brüll!
Peter Cossé † [15.09.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ignaz Brüll | ||
1 | Klaviersonate d-Moll op. 73 | 00:27:15 |
5 | Suite Nr. 2 op. 71 für Klavier | 00:17:06 |
9 | Klage op. 33 Nr. 1 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:13:46 |
10 | Frühlingslied op. 33 Nr. 2 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:01:56 |
11 | Armer Savoyardenknabe op. 33 Nr. 3 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:02:25 |
12 | Im Dorfe op. 33 Nr. 4 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:01:22 |
13 | Menuet op. 33 Nr. 5 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:02:22 |
14 | Menuet op. 33 Nr. 6 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:01:49 |
15 | Glückwunsch op. 33 Nr. 7 (aus: Siebe Albumblätter für die Jugend op. 33) | 00:02:04 |
16 | Suite No. 3 op. 76 | 00:07:22 |
17 | Romanze op. 57 Nr. 4 (aus: Fünf Klavierstücke op. 57) | 00:03:00 |
19 | Suite No. 4 op. 80 | 00:03:36 |
Interpreten der Einspielung
- Alexandra Oehler (Klavier)