Ondine ODE 1109-5
1 CD/SACD stereo/surround • 78min • 2006, 2007
19.06.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Am Dirigenten Christoph Eschenbach scheiden sich die Geister. Daran können auch solch namhafte Fürsprecher wie George Szell und Herbert von Karajan nichts ändern. Eschenbachs Leistungen als Schostakowitsch-Interpret bilden hiervon keine Ausnahme, sind zumindest nicht unproblematisch. Freilich, etwas Heikleres als die Ambivalenz der musikalischen Aussage von Schostakowitschs fünfter Sinfonie dürfte kaum vorstellbar sein. Und welchem Maestro ist es hier schon gelungen, die philosophisch-politischen Dimensionen der Sinfonie zu erkennen und – noch dazu – hörbar zu machen?! Jeweils auf ihre Weise Leonard Bernstein, Georg Solti und…
Der Komponist stand 1937 unter enormem, gar lebensgefährlichem Druck: Stalin hatte eine Vorstellung der Oper Lady Macbeth von Mzensk vorzeitig verlassen, einige Tage später war der berühmt-berüchtigte Prawda-Artikel Chaos statt Musik erschienen. Schostakowitsch wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Schon so prominente Künstler wie Gorki, Mandelstam oder Meyerhold waren auf Nimmerwiedersehen verschwunden… Aus diesem Kontext heraus ist die Entstehung der 5. Sinfonie zu sehen – nicht nur als Möglichkeit eines sowjetischen Musikers, sich vor den Machthabern zu rehabilitieren und damit das eigene und das Leben der ganzen Familie zu retten, sondern – kraft kompositorischer Genialität – die politisch gewollte Ästhetik einerseits durchaus zu erfüllen, andererseits zu unterlaufen bzw. in Frage zu stellen.
In den letzten Lebensjahren brachte Schostakowitsch seine subversiven Absichten bei diesem Werk gegenüber Solomon Volkov folgendermaßen auf den Punkt: „Was in der ‚Fünften‘ vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen wie in ‚Boris Godunov‘. So, als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: ‚Jubeln sollt ihr, jubeln sollt ihr.‘ Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten. Geht, marschiert, murmelt vor sich hin: ‚Jubeln sollen wir, jubeln sollen wir.‘ Das ist doch keine Apotheose. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“
Zu einem bösartigen, alles schier niederwalzenden Marsch mutiert das zarte Hauptthema des ersten Satzes, um in kürzester Zeit wieder zu größter Lieblichkeit zurückzukehren. Doch die Bedrohung bleibt stets gegenwärtig: im vermeintlich klassischen Scherzo des zweiten, dem Klagegestus des dritten Satzes oder der bewusst kontrastierenden, auftrumpfenden Ausgelassenheit des Finales. Gerade das Profil dieses beständig präsenten Gewaltpotentials hätte Eschenbach noch schärfen müssen – sei es bei manchen unter der Klangoberfläche für Unruhe sorgenden Streicherfiguren oder wild dreinfahrenden Blechbläserthemen. Gerade letztere dürfen niemals bloß angenehm klingen. Bei Schostakowitsch handelt es sich – auf andere Weise als bei Mahler – stets um Existentielles.
Dass das Philadelphia Orchestra alle Noten spielen kann, die der Komponist aufgeschrieben hat, und mit seiner legendären breitwandsoundartigen Brillanz aufwartet, reicht nicht. Es entsteht der Gesamteindruck, dies sei eine Sinfonie, die man sich „gut anhören“ könne. Von den Gefährdungen, ja den Abgründen, die hier hineinkomponiert wurden, und jenseits der konkreten Entstehungssituation eine zeitlose Gültigkeit beanspruchen können, spürt man viel zu wenig.
Wer Schostakowitschs Sinfonie Nr. 5 in einer hervorragenden Klanggestalt mal nur konsumieren möchte – quasi in einer homöopathischen Dosis –, dem sei zur Anschaffung dieser CD geraten. Ein tieferes Kennenlernen oder gar Eindringen in die geistigen Dimensionen dieses Werks, was – im Idealfall – zugegebenermaßen nicht immer gut für die Psycho-Hygiene des Rezipienten sein mag, ermöglicht Christoph Eschenbachs Deutung leider nicht.
Ich erinnere mich der bis zur partiellen Verwirrung gesteigerten Ergriffenheit eines Journalisten nach einer einschlägigen Schostakowitsch-Erfahrung mit dem WDR-Sinfonieorchester. Dem musikalischen Leiter der Aufführung glaubte der Kollege hernach mit folgendem Geständnis entgegentreten zu müssen: „I can’t get out of my head this fucking Schostakowitsch.“ Es spricht für Semyon Bychkovs weit reichendes Schostakowitsch-Verständnis wie seine menschliche Generosität, dass er dies als Kompliment für seine Interpretation verstanden hat…
Von der „Wunde Schostakowitsch“ zeugt der vorliegende Live-Mitschnitt aus der Verizon Hall in Philadelphia vom September 2006 keineswegs. Das amerikanische Ostküsten-Publikum ist restlos begeistert, wo doch beklommenes Schweigen oder mindestens verhaltene Betroffenheit angesagt gewesen wäre. Na ja, erfolgreiches Veräußerlichen will auch gelernt sein. Und vielleicht findet der 68-jährige Christoph Eschenbach auch noch den – künstlerisch gewiss steinigeren – Weg fernab eines derart eklatanten Miss-/Unverstehens des Sinfonikers Schostakowitsch.
Schonungsloser geht es bei den Sieben Romanzen nach Gedichten von Alexander Blok zu. Auch hier ist Christoph Eschenbach wieder beteiligt – als Klavierbegleiter des 2., 4., 5. und 7. Lieds. Gerade das zweite, Gamayun (ein mythischer Vogel mit dem Gesicht einer wunderschönen Frau), zeigt, zu welch kompromissloser Radikalität der Pianist Eschenbach fähig ist, und dass er selbst hässliche Töne nicht scheut, wo diese im Dienst der musikalischen Aussage angebracht sind. Ist es nur ein Vorurteil, dass es dirigierende Pianisten oft nicht vermögen, ihre Einsichten und Ideen vom Klavier aufs Orchester zu übertragen – oder steckt etwas Wahres hinter diesem Klischee?
Eschenbachs kammermusikalische Mitstreiter, die fabelhafte Cellistin Hai-Ye Ni und Juliette Kang (mit gelegentlich etwas zu dürrem Violinton), rekrutieren sich von den Stimmführerpulten des Philadelphia Orchestras. Der atmosphärisch dichte Live-Mitschnitt entstand 2007 im Perelman Theater, dem Kammermusiksaal des Kimmel-Centers in Philadelphia. (Mit 2.500 Plätzen ist die dortige Verizon Hall der „big brother“.)
Knackpunkt der Aufnahme ist allerdings die Gesangssolistin Yvonne Naef. Ihr warmer Mezzo, der an die genuin französische Gesangsschule einer Regine Crespin anknüpft, will so gar nicht zur schonungslosen Härte passen, mit der Schostakowitsch beispielsweise Bloks Sturm-Gedicht (Nr. 5) musikalisch umgesetzt hat. Man muss nicht allzu viel Phantasie aufwenden, um zu ermessen, wie dies bei der Uraufführung 1967 mit dem stählernen Sopran der Bolschoi-Primadonna und Widmungsträgerin Galina Wischnewskaja geklungen haben mag. Zwar lässt sich generell jedes Stück in eine andere Tradition übersetzen, wenn das Ergebnis überzeugend ist. Im vorliegenden Fall überwiegen indes die Mankos und Defizite.
Richard Eckstein [19.06.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 | 00:52:14 |
5 | Sieben Romanzen op. 127 für Sopran, Violine, Violoncello und Klavier (nach Gedichten von Alexander Blok) | 00:25:37 |
Interpreten der Einspielung
- Yvonne Naef (Mezzosopran)
- Juliette Kang (Violine)
- Hai-Ye Ni (Violoncello)
- Philadelphia Orchestra (Orchester)
- Christoph Eschenbach (Dirigent)