Violin Sonatas
Weinberg • Schostakowitsch
SWRmusic 93.190
1 CD • 66min • 2006
06.03.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das ist nun bereits die dritte Hänssler-CD, auf der der Versuch unternommen wird, die Kammermusik von Dmitri Schostakowitsch mit Werken seines Freundes Moshe (andere bevorzugen das unseren Zungen schier unmögliche Mieczyslaw) Weinberg dergestalt zu koppeln, daß dieser an Bekanntheit gewinnt und der Eindruck entsteht, der dreizehn Jahre ältere Kollege sei so einzigartig vielleicht doch nicht gewesen. Das war zu beobachten, als Johannes Moser und Paul Rivinius die Cellosonaten von Wainberg und Schostakowitsch nebeneinander stellten (wobei hier allerdings mit der entsprechenden Kreation von Boris Tschaikowsky eine fürwahr eigene Note erklang), und das wurde noch deutlicher, als sich Dmitry Sitkovetsky, David Geringas und Jascha Nemtsov mit den Klaviertrios der beiden Freunde befaßten, denen sie Drei Volkstänze in Trioform von Alexander Weprik beigaben: Immer erhält, wie ich das seinerzeit formulierte, der Älteste und Bekannteste den Ehrenplatz am Kopfende der Tafel, doch bis man sich jeweils bis zu ihm vorgehört hat, ist einem schon so viel an „Schostakowitsch” begegnet, daß sich die Frage aufdrängt, ob es vielleicht doch möglich sei, ein Pfund Fleisch vom Herzen eines Genies in die „eigene Wurscht zu hacken”, sprich durch die geschickte Montage fremder Eingebungen zu neuen, wiederum persönlichen Aussagen zu kommen.
Das geht nur bedingt, wie uns die vorliegende, interpretatorisch und klanglich übrigens wiederum untadelige Veröffentlichung in aller Deutlichkeit demonstriert. Die Violinsonaten Nr. 3 und Nr. 4 von Mieczyslaw Weinberg, beide aus dem Jahre 1947, enthalten vom ersten Takt an so viele Formulierungen und Gesten des Kollegen, daß einen ganz jäh die Lust auf eine motivische Schnitzeljagd überkommt: Ein bißchen Cellosonate zu dem Klavierpart aus dem ersten Klavierkonzert, ein wenig tragischer “Re-Import” aus der zweiten Klaviersonate oder dem großen Trio – das alles sehr geschickt und kunstvoll gearbeitet, aber eben doch vielfach über einen fremden Leisten geschlagen...
Weinberg hat, das kann ich bei dem wenigen sagen, was ich aus seinem Œuvre bisher kenne, tatsächlich Eigeneres komponiert. Es gibt da einiges aus dem umfangreichen Schaffen, das geradezu originell ist, wie die siebte Sinfonie für Streicher und Cembalo oder ein unerhört schnurriges Trompetenkonzert, das leicht mit Alexander Arutjunjans fröhlichem Trara mithalten könnte, wenn es denn öfter gespielt würde. Anderes wiederum – die fünfte Sinfonie – zeigt die Abhängigkeit von dem Vorbild auf weit subtilere Art, und wieder anderes haut mit solcher Wucht in die bekannte Kerbe, daß es scheint, als habe Schostakowitsch was im Schreibtisch vergessen. In diese Kategorie gehört beispielsweise das Violinkonzert, dazu gehören aber eben auch weite Strecken der beiden hier aufgenommenen Sonaten. Zwischendurch beginnt man dann freilich an dem Urteil zu zweifeln: Wenn Weinberg in dem toccatenartigen Mittelsatz seiner vierten Sonate von der Geige einen ostinaten Wahnsinn verlangt, zu dem das Klavier schmetternd-dissonante Fanfaren heraushämmert, erkenne ich als Inspirationsquelle zwar den Mittelsatz von Schostakowitschs achter Sinfonie, doch hier bewegt sich die Anregung im Bereich des rein abstrakten Einfalls, ohne sich an melodischen Vorgaben aufzurichten, und prompt entsteht ein mitreißendes Gebilde, das, soweit ich das bislang zu sagen vermag, die stärkste Seite des Komponisten repräsentiert – den Motoriker, der, wie ich im Zusammenhang mit seinem Klaviertrio vor einiger Zeit schrieb, „ganz offen rast und tobt”, wobei einem das Attribut „nervtötend” in den Sinn kommt, sich aber im selben Augenblick auch schon wieder verbietet, da die Ausweglosigkeit, die Wut, das Unverständnis und nun auch der sinnlose Fluchtinstinkt in aller Schärfe formuliert sind.
Den programmatischen Ehrenplatz, ich sagte es schon, haben Kolja Blacher und Jascha Nemtsov der späten Schostakowitsch-Sonate überlassen. Zwar könnte man füglich darüber diskutieren, ob diese Kopplung zweckdienlich, ob nicht ein ganz anderer, Wainbergs Welten weniger naher Ton geeigneter gewesen wäre? Sergej Prokofieff vielleicht, wenn’s denn was richtig Gutes hätte sein sollen? Aber nun ist dieses Geburtstagsgeschenk für David Oistrach nun mal dabei, und es zeigt die beiden Interpreten noch einmal im besten Lichte, weil sie das sparsame Werk eines Mannes, der die äußeren Kämpfe eigentlich hinter sich hat und fortan mit seinem ärgsten Feind, dem Tod, glaubt ringen zu müssen, mit bewegender Überzeugungskraft ausführen. Rückblickend, oder besser: rückhörend, verlieren dadurch die tragischen Aktionen Wainbergs klarerweise viel von ihrer Attacke: Gerade neben der emotionalen Richterskala des alten Schostakowitsch ist zu spüren, wie viele Dinge der talentierte Adept aus zweiter Hand veräußert hat. Zu argumentieren, daß Schostakowitsch bei der Komposition ja über sechzig, Wainberg bei seinen Sonaten erst achtundzwanzig gewesen sei, das gilt nicht: Man muß nur das frühe Klaviertrio op. 8 des „Alten” hören...
Die Produktion ist einwandfrei. Es sollte allerdings bemerkt werden, daß einer der beiden Künstler – ich vermochte nicht zu identifizieren, welcher – dem Vorbilde des legendären Sängers Glenn Gould nacheifert und die expressivsten Momente durch vokale Akzente anreichert.
Rasmus van Rijn [06.03.2007]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Mieczyslaw Weinberg | ||
1 | Sonate Nr. 3 für Violine und Klavier | 00:18:47 |
4 | Sonate Nr. 4 op. 39 für Violine und Klavier (L.B. Kogan gewidmet) | 00:16:18 |
Dimitri Schostakowitsch | ||
6 | Sonate G-Dur op. 134 | 00:30:20 |
Interpreten der Einspielung
- Kolja Blacher (Violine)
- Jascha Nemtsov (Klavier)