Stephan Rudi
Die ersten Menschen
cpo 999 980-2
2 CD • 1h 52min • 1998
14.03.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Er hätte im Opernbetrieb der Weimarer Republik zweifellos seinen Platz zwischen Richard Strauss und Franz Schreker gefunden, denn er war einer der begabtesten Komponisten seiner Zeit. Doch kurz nach Fertigstellung seiner einzigen (erhaltenen) Oper Die ersten Menschen fand Rudi Stephan im September 1915, erst 28 Jahre alt, im Schützengraben den Tod.
Die Wahl des Sujets mag für einen jungen Mann aus gutem Hause, der von seinem Vater, dem Geheimrat Dr. Karl Stephan, nicht nur finanziell gefördert wurde, etwas erstaunen. Denn das der Oper zugrundeliegende „erotische Mysterium” Otto Borngräbers (1874-1916) war auf dem Sprechtheater ein veritabler Skandal (und nach der Münchner Premiere im gesamten Königreich Bayern verboten!).
Borngräber deutet die biblische Geschichte (1. Mose 4) sehr freimütig um. Der Brudermord ist eine Eifersuchtstat. Der triebhafte Kajihn (Kain), immer auf der Suche nach dem „wilden, wilden Weib“, das er in seiner Mutter Chawa (Eva) gefunden zu haben glaubt, findet diese in Umarmung mit seinem seherischen Bruder Chabel (Abel), den er daraufhin erschlägt. Adahm, der sich drei Akte lang seiner Frau sexuell verweigert hatte, vergibt ihm und läßt sich von ihr aufs Neue in die Pflicht nehmen.
Sigmund Freud und mehr noch Otto Weininger (Geschlecht und Charakter) haben bei dieser morbiden Bibelexegese Pate gestanden. Die Definition der Frau als „herrlich schönes Tier” war allerdings durchaus zeittypisch, man denke an Wedekinds Lulu-Dramen und Bergs Oper. Der dem Expressionismus verpflichtete Sprachduktus würde heute auf dem Sprechtheater ziemlich veraltet und gelegentlich unfreiwillig komisch wirken, dem Operngesang kommt er durchaus entgegen.
Stephan, von der Elektra seines älteren Kollegen Strauss ebenso beeindruckt wie von den harmonischen Innovationen Debussys, bemächtigt sich des Stoffs mit einem souverän beherrschten spätromantischen Riesenorchester. Aufbruchsstimmung spricht aus jedem Takt. Und die versteht auch der Dirigent Karl Anton Rickenbacher in der schon vor acht Jahren im Berliner Konzerthaus aufgenommenen konzertanten Aufführung zu vermitteln. Dabei bewahrt er inmitten der oft zu vulkanischer Hitze aufbrodelnden Klangmassen immer kühlen Kopf und entgeht geschickt den Gefahren der Schwülstigkeit.
Siegmund Nimsgern bewältigt den Adahm mit reichen baritonalen Ressourcen und prägnanter Diktion. Letztere kommt bei Gabriele Maria Ronges Chava etwas zu kurz, doch kompensiert sie dieses Manko durch stimmliche und gestalterische Intensität. Die beiden Söhne beeindrucken weniger. Der Kajihn Florian Cernys klingt älter als sein Vater und der zur Erlöserfigur stilisierte Chabel hätte einen Tenor von der künstlerischen Statur eines Peter Pears verlangt; der im Stimmtyp entsprechende Hans Aschenbach wirkt eher etwas anämisch.
Ekkehard Pluta [14.03.2006]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Rudi Stephan | ||
1 | Die ersten Menschen (Oper in zwei Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Siegmund Nimsgern (Adam - Baß)
- Gabriele Maria Ronge (Chawa - Sopran)
- Florian Cerny (Kajihn - Bariton)
- Hans Aschenbach (Chabel - Tenor)
- Rundfunk Sinfonieorchester Berlin (Orchester)
- Karl-Anton Rickenbacher (Dirigent)