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Besprechung CD

cpo 777 073-2

3 CD • 2h 56min • 2004

25.07.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

1678 nahm in Hamburg das erste öffentliche Opernhaus seinen Spielbetrieb auf. Das Theater am Gänsemarkt war eines der größten und modernsten in Europa und konnte sich, sieht man von einer kurzen Unterbrechung 1718 ab, immerhin sechzig Jahre lang halten, womit es ähnliche privat finanzierte Unternehmungen in England oder Italien weit in den Schatten stellte. Als junger Mann lernte Händel hier sein Handwerk, und der große Händel-Forscher des 19. Jahrhunderts, Friedrich Chysander, meinte, sich abschätzig über den Hamburger Opernbetrieb äußern zu müssen, um Händels Zug nach Italien als innere und äußere Notwendigkeit erscheinen zu lassen. Erst 1957 gelang Helmut Christian Wolff mit seinem zweibändigen Werk Die Barockoper in Hamburg eine fundierte und differenzierte Sichtweise. Auf die Praxis hat dies bis heute allerdings wenig Auswirkungen; lediglich von Keiser und Telemann (also von Repräsentanten der mittleren und späten Phase des Gänsemarktes) hört man ab und zu einzelne Bühnenwerke.

Nun stellen Paul O’Dette und Stephen Stubbs die Oper Die schöne und getreue Ariadne von Johann Georg Conradi (ca. 1645–1699) vor, und zwar – um es gleich vorweg zu sagen – mit beachtlicher Überzeugungskraft. Conradi stammte aus Oettingen (Ostschwaben), war 1683–1686 Hofkapellmeister in Ansbach, 1687–1690 Kapellmeister in Römhild (Sachsen-Meiningen) und 1690–1694 Kapellmeister am Gänsemarkt. Dort führte er französische Opern auf, mit denen das Bürgertum dem Musikgeschmack der deutschen Duodezfürsten nacheiferte; zugleich setzte Conradi sich aber auch stark für die Etablierung des italienischen Stils ein. Neun eigene Opern hat er für Hamburg komponiert, allesamt in deutscher Sprache und allesamt, bis eben auf Ariadne, heute verschollen. Kennzeichnend für sie (und die Schwesterwerke anderer deutscher Komponisten) ist ihr Stilmix: Die Ouvertüre, die Tanzsätze und einige Einlagen klingen eindeutig nach Lully, viele Arien sind italienischen Vorbildern nachempfunden, manche sind aber schlichte deutsche Lieder. Dieser Stilmix wurde seinerzeit als willkommene Abwechslung goutiert und war später für Chrysander, dem es mehr um Stileinheit und -vollkomenheit ging, eben der Ansatzpunkt seiner Kritik.

Heute kann man wertfrei feststellen, daß deutliche Niveauunterschiede zu verzeichnen und wohl auch vom Komponisten beabsichtigt sind. Die Rezitative neigen gelegentlich zu Langatmigkeit, doch die französisierenden Airs sind einfach wunderbar, und auf die possenhafte Einlage am Ende des ersten Aktes – der Commedia dell’arte entlehnt – wird man um so weniger verzichten mögen, als Jan Kobow in der Rolle des Dieners Pamphilius hier vorzügliche Arbeit leistet. Ohnehin sind die Solisten handverlesen, allen voran Karina Gauvin, Barbara Borden und James Taylor in den Hauptrollen. Den Lautenisten Paul O’Dette und Stephen Stubbs gelingt es in ihrer Leitung als Doppelspitze, das jeweils Spezifische der Musik herauszuarbeiten, Details liebevoll zu schattieren und die richtige Balance zwischen hoher Kultur und deftiger Unterhaltung zu finden. Das Orchester und der Chor des Boston Early Music Festival besteht übrigens nur zum geringeren Teil aus Amerikanern; die meisten Musiker sind Europäer, und der Interpretationsansatz ist deutlich von der Bremer Schule gekennzeichnet, die Stephen Stubbs vor über zwanzig Jahren mit Thomas Albert und Gleichgesinnten aufgebaut hat. Daß somit die verdienstvolle Ehrenrettung der Hamburger Oper aus dem Umfeld der rivalisierenden Hansestadt kommt, bleibt eine leise Ironie der Geschichte.

Theodor Schliehen [25.07.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Georg Conradi
1Ariadne

Interpreten der Einspielung

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