
Hyperion CDA 67427
1 CD • 70min • 2003
10.02.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Es ist recht selten, dass ein Beihefttext kritisch mit der auf der CD präsentierten Materie umgeht. Nicht so hier. Der ebenso umfassende wie aufschlussreiche Text von Martin Anderson beschreibt nicht nur die Entstehungsgeschichte und Struktur der Werke, er erklärt auch zugleich, warum die beiden je viersätzigen Stücke der inzwischen weitgehend vergessenen französischen Komponisten Pierre de Bréville (1861-1949) und Joseph Canteloube (1879-1957) heute kaum mehr gespielt werden. Dabei stellt sich Andersons Text keineswegs gegen die von Bréville und Canteloube geschaffene Musik, ganz im Gegenteil. Er hebt gewissenhaft die Kunstfertigkeit Brévilles und die Raffinesse bei Canteloube hervor, zugleich wird aber auf die Divergenzen zwischen gewählter Klangsprache, formaler Schlüssigkeit und musikalischem Gehalt hingewiesen.
Nachvollziehen lässt sich dies hervorragend durch die vorliegende Interpretation. Beide Musiker geben sich ganz dem jeweiligen Werk hin und schaffen so beste Voraussetzungen für die Rezeption dieser beiden klingenden Grabsteine der Musikgeschichte.
Pierre de Bréville, der vor allem durch César Franck geprägt worden war und der hohe Stellungen im damaligen französischen Musikleben bekleidete, schuf mit seiner 1918/19 entstandenen Violinsonate Nr. 1 in cis-Moll ein leidenschaftlich-schwärmerisches Werk, dessen komplexe Sätze durch satztechnische Dichte ebenso wie durch verspielte und graziöse Klangspiele geprägt sind.
Philippe Graffin Violinspiel hat durch seinem klaren, glänzenden Ton und seine zupackenden Spielweise eine erstklassige Voraussetzung, diese Musik wiederzugeben. Gleiches gilt für Pascal Devoyon Klavierspiel, welches sich haargenau in die Stimmung von Graffin einfügt und ihm zugleich viel Raum zum Atmen läßt.
Noch deutlicher als bei der Sonate Brévilles wird dies bei der mit Dans la montagne betitelten Suite von Canteloube. Das 1904/06 unter der Obhut von Vincent d’Indy entstandene Werk schöpft seinen Reiz vor allem aus dem atmosphärischen Klangspiel und der stellenweise improvisiert wirkenden Unmittelbarkeit. Devoyon spielt das Klavier so, als würde er geschmeidige Klangmassen aus der Tiefe des Klaviers in den Hörraum schöpfen. Sein Anschlag ist hochsensibel, sein flächiges Akkordspiel schafft kleine Landschaften, in denen die Violintöne auf- und wieder verblühen können. Wie im Kopfsatz steht auch in den anderen Sätzen der atmosphärisch-impressionistische Charakter im Mittelpunkt, besonders im Finalsatz, in dem Canteloube auch harmonisch interessante Welten betritt. Eine Ausnahme bildet der kindlich-einfache dritte Satz, dessen Freundlichkeit desto unmittelbarer zu Tage tritt.
Die Aufnahme gibt die Klangcharakteristik der beiden Instrumente schön und farbig wieder, hinsichtlich der räumlichen Balance sind die Instrumente jedoch etwas zu weit voneinander entfernt. Ob diese Werke nachhaltig dem Vergessen entrissen werden können, wird die Zukunft zeigen. Sie in ein historisch gut durchdachtes Programm mit Franck, Debussy oder Fauré zu integrieren, wäre aber auf jeden Fall ein Gewinn.
Robert Spoula [10.02.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Pierre Bréville | ||
1 | Violinsonate Nr. 1 cis-Moll | |
Marie-Joseph Canteloube | ||
2 | Suite Dans la montagne für Violine und Klavier |
Interpreten der Einspielung
- Philippe Graffin (Violine)
- Pascal Devoyon (Klavier)