harmonia mundi HMC 801817
1 CD/SACD stereo • 69min • 2003
28.05.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit der dritten Sinfonie Anton Bruckners hat Kent Nagano erneut ein Stück auf Hochglanz polierter Langeweile vorgelegt. Zwar ist es immer noch grundsätzlich zu begrüßen, wenn ein Dirigent einmal zu der unbehauenen, in letzter Zeit häufiger gespielten Urfassung der Dritten von 1873 greift, nur: Nagano betrachtet das Werk durch die retrospektive Brille des Spätwerks und dessen weihevoll-pathetische Aufführungstradition. Diese Interpretation scheitert in erster Linie an der blutleeren Darstellung des ohnehin ausufernd komponierten Kopfsatzes. Roger Norringtons Einspielung dieser Version auf alten Instrumenten 1995 war zwar nicht ganz zu Unrecht von vielen Bruckner-Liebhabern fast als Affront aufgefasst worden (EMI 5 56167 2). Ich persönlich hatte ebenfalls große Bedenken gegenüber Norringtons Tempokonzept des Kopfsatzes – allerdings nicht wegen des sehr zügigen Grundtempos, sondern vor allem wegen der extremen Temposchwankungen jener Aufführung. Doch zumindest wirkt die Sinfonie als Ganzes bei ihm so himmelsstürmend und drängend, wie sie wohl gemeint war.
In der Ausführung der Kopfsätze verschiedener Bruckner-Sinfonien hat sich in den vielen Jahren seit den bearbeitenden Erstdrucken eine Aufführungspraxis allzu verschleppter Grundtempi durchgesetzt und bis heute gehalten, obwohl es sich dabei im wesentlichen immer noch um Allegro-Kopfsätze klassischer Sinfonien handelt. Doch so nivelliert und monochrom wie unter Nagano habe ich diesen Kopfsatz der Urfassung noch nie gehört. Das ist nur teilweise eine Frage des Tempos: Nagano braucht zwar mit 26’33 nicht einmal so lang wie Georg Tintner (30’34, Naxos 8.553454), doch wirkt Tintners Einspielung aufregender, weil sie kontrastreicher ist. Johannes Wildner andererseits war das Kunststück gelungen, trotz etwas geringerer Spieldauer (25'31, SonArte SP20/zur Zeit vergriffen) das Tempo unnachgiebig zu führen, ohne es dem Satz an der gewünschten Ruhe fehlen zu lassen. Die stehenden Klänge bei Nagano sind jedoch unerträglich, insbesondere in der ersten Hälfte des Satzes. In der Durchführung gewinnt das Orchester glücklicherweise an Fahrt – was schon zu Beginn des Satzes so hätte sein sollen.
Ähnlich zum Stillstand kommen auch Passagen des zweiten und vierten Satzes. Man mag beispielsweise kaum glauben, dass Bruckner die Gesangsperiode des Finales (Tr. 4, 1’03) als eine Kombination von „Polka und Choral“ (!) charakterisiert hat. Bei Nagano bleibt von der Polka nichts übrig; es ist nur ein figurierter Choral. Das Orchester kann das konzeptionelle Versagen von Nagano nicht kompensieren, zumal auch die Räumlichkeit zu wünschen läßt: Tintner und Wildner hatten die Vorzüge der antiphonalen Violinen-Aufstellung zu nutzen gewußt, während Nagano bei der die Außenstimmen hervorhebenden amerikanischen Sitzordnung blieb.
Was mag harmonia mundi dazu bewogen haben, ihren ohnehin äußerst schmalen Bruckner-Katalog ausgerechnet um diese langweilige Deutschlandradio-Koproduktion zu ergänzen – die noch dazu geeignet ist, sämtliche insbesondere in Frankreich immer noch nicht ausgeräumten Vorurteile gegenüber Bruckner zu bestätigen? Es ist durchaus bewundernswert, wie sich insbesondere die exzellenten Holz- und Blechbläser des DSO Berlin ohne hörbare Konditionsschwächen durch die unendlich langen Haltetöne dieser Sinfonie arbeiten, dabei die Klänge schillern lassen und dann atmend zu Ende bringen können. Auch die Auslotung der Dynamik durch die Musiker ist ganz vorzüglich. Zumindest für die Qualitäten des DSO Berlin also ist diese Einspielung ein eindrucksvolles Zeugnis.
Dr. Benjamin G. Cohrs [28.05.2004]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 |
Interpreten der Einspielung
- Deutsches Sinfonieorchester Berlin (Orchester)
- Kent Nagano (Dirigent)