Nonesuch 79618-2
1 CD • 1h 37min • 2000
01.03.2001
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Was würde wohl herauskommen, wenn man hinduistischen und buddhistischen Würdenträgern, Sufi- und Zen-Meistern, Rabbinern, Kardinälen, Mullahs, Medizinmännern und Schamanen die Aufgabe stellen würde, einen gemeinsamen Kanon zu Schöpfung, Leben und Tod, Wiedergeburt, Paradies und Auferstehung, Zeit und Ewigkeit zu verfassen? Die Antwort wird dem politisch Aufmerksamen nicht schwer fallen - also kann man von Glück sprechen, daß es den "Musiker" gibt.
Musik ist ja nichts anderes als ein universeller Code, eine Sprache aus "Schwingung" und nicht aus Zeichen und Bildern, die kulturell verschieden auskristallisieren, auch wenn sie eigentlich das Gleiche sagen. Wenn nun ein Musiker wie Phil Glass zu entsprechenden Texten (des Koran, der Bhagavad Gita, der Thora, der Psalmen Davids, des Lobpreises Krishnas, des Popul Vuh der Mayas, des Neuen Testaments u.a.) greift, so nicht deshalb, weil auch die Musik ihre Grenzen hat, sondern weil sie die Chancen einer Berührung der Traditionen in sich birgt, weil sie wie ein Lösungsmittel die Substanzen aus ihren kulturellen Hüllen befreien kann.
Glass' im Auftrag der Salzburger Festspiele zur Jahrtausendwende komponierte Sinfonie setzt sich einen hohen Maßstab - und in der Tat ist das Konzept genial und schlicht zugleich, spontan überzeugend und dabei von universellem Weitblick, grundvernünftig und doch visionär - nein, geistig ist dem Konzept nichts entgegenzusetzen. Dennoch dürfte es Auseinandersetzungen über Glass' Musik geben, weil sie vielleicht nicht neu genug und in sich selbst zu konsistent ist. Doch Glass hat es geschafft, viele Floskeln, Formeln, Wendungen und Chiffren traditioneller Musik in eine so eigene Sprache zu überführen, daß ihr ursprünglicher historischer Ort zwar durchscheint, aber nicht mehr dominiert. Die alles einbindende Pulsrhythmik und die sich stets neu brechenden harmonischen Girlanden schaffen ein Feld der Umwertung, und hier überzeugt Glass wie viele Komponisten vor ihm, die zwar die Harmonien und Kadenzen nicht neu erfunden, diese aber in vielen Details umgewertet haben. Vor allem Glass' Stimmbehandlung, die Plastizität der Chöre und die großbögig angelegten Linien der Solisten zeigen die Souveränität des großen Opernkomponisten, wobei die oft recht abgedunkelten und archaischen Orchesterpassagen in ihrem steten Drive keineswegs ermüden. Die Musik wirkt durchgehend stimmig, wobei die hochrangigen Musiker und der bestens Glass-erfahrene Dirigent einen bedeutenden Anteil am Gelingen des Projekts haben.
Kritik verdient nur die gutgemeinte, aber grobe Ausstattung. Anstelle der bierdeckelartigen Pappen mit den Schriftzeichen der beteiligten Kulturen hätte man sich ein Textbuch mit den Originalsprachen und Lettern plus Übersetzungen (vielleicht nicht nur ins Englische) gewünscht.
Hans-Christian v. Dadelsen [01.03.2001]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Philip Glass | ||
1 | Sinfonie Nr. 5 |
Interpreten der Einspielung
- Ana María Martínez (Sopran)
- Denyce Graves (Mezzosopran)
- Michael Schade (Don Ottavio - Tenor)
- Eric Owens (Bariton)
- Albert Dohmen (Amfortas - Bariton)
- Ungarischer Rundfunk-Kinderchor (Chor)
- Morgan State University Choir (Chor)
- Radio-Symphonieorchester Wien (Orchester)
- Dennis Russell Davies (Dirigent)