Kondition und Kantabilität
Finale im Fach Trompete beim 74. Internationalen Musikwettbewerb der ARD

Den Finalisten im Fach Trompete standen drei Werke zur Auswahl, nämlich drei ausgewählte Sätze aus dem neunsätzigen Requiem von Hans Werner Henze, die als Doppelkonzert für Trompete und Klavier angelegt sind, was den Probenaufwand naturgemäß erhöht hätte, Marsyas von Wolfgang Rihm sowie das am 11. Oktober dieses Jahres die 70-jährige Wiederkehr seiner Uraufführung feiernde Nobody knows the trouble I see von Bernd Alois Zimmermann, das sich mittlerweile im Repertoire etabliert hat und für das sich alle drei Kandidaten entschieden.
Ein politisches Trompetenkonzert
Das Zimmermann-Konzert entstand als Auftragskomposition des NWDR und erlebte seine Uraufführung am 11.10.1955 im Studio 2 des NDR. Adolf Scherbaum, damals Solotrompeter und Ernest Bour am Pult hoben das Werk aus der Taufe. Maurice André sagte einmal, dass es nach ihm viele Trompeter gäbe, aber vor ihm nur Scherbaum, der den meisten von uns eher mit barockem Repertoire im Gedächtnis geblieben sein dürfte.
Das Konzert ist eine polystilistische Komposition, die Zwölftontechnik mit Elementen des Bebop-Jazz kombiniert, wie ihn Dizzy Gillespie entwickelt hatte. Diese Jazz-Affinität und das Zitat des Spirituals Nobody knows, das auf die Ungleichbehandlung der Schwarzen in den USA Bezug nimmt und womöglich durch den damals durch alle Zeitungen gehenden „Brown vs. Board of Education“-Prozess vor dem Supreme Court angeregt wurde, dürfte in der Adenauer-Zeit, in der Jazz noch als „Negermusik“ bezeichnet wurde, für einiges empörte Kopfschütteln gesorgt haben. Zimmermann nimmt hier deutlich die Partei der Unterdrückten ein und macht deren Schicksal durch Seufzermotive und wütende Ausbrüche deutlich. Das Spiritual nimmt gegen Schluss den Charakter einer verklärten Hymne an und weist so den Weg in eine bessere Zukunft.
Der Solopart gehört mit Sicherheit zum Anspruchsvollsten, was in weitgehend traditioneller Spielweise für die Trompete geschrieben wurde. Er erfordert Kantabilität, Atemtechnik für lange Passagen, Kondition, um gegen das aus einer Kombination von Big-Band und Sinfonieorchester bestehende sehr große Ensemble anzukommen, Virtuosität und Poesie für die mit „Rubato“ bezeichneten Abschnitte. Ein ideales Stück, um binnen knapp 15 Minuten alle Facetten seines Könnens zu präsentieren.
Bewegende Interpretation
Sandro Hirsch aus Deutschland, Laureat diverser Wettbewerbe und als Solo-Trompeter des Beethoven-Orchesters Bonn bereits in Amt und Würden, präsentierte mit seinem unglaublich kultivierten, quasi „holzbläserischen“ Ton die poetische Seite des Werks, ohne der nötigen Virtuosität etwas schuldig zu bleiben. Er verfügt über die atemtechnischen Mittel, die beiden kniffligen Triolenstellen durchzuziehen und dabei gegen das dick instrumentierte Orchester anzukommen, ohne dabei auftrumpfen zu müssen, was die Stimmung seiner lyrischen Interpretation stören würde. Seine meisterliche Art zu phrasieren, wurde besonders in der sinnhaft-sprechenden Gestaltung der Rubato-Abschnitte deutlich. Somit bot der 28-Jährige die emotional bewegendste Interpretation.
Auftrumpfende Virtuosität
Der ebenfalls als vielfacher Preisträger wettbewerbserfahrene jüngste Finalist, Robin Paillet aus Frankreich, betonte die virtuose Seite des Konzerts mit großem, weitschallendem Ton, einer außerordentlichen manuellen Agilität und stupender Atemtechnik. Ihm gelangen die im Notentext nur angedeuteten jazzigen Glissandi in die dreigestrichene Oktave perfekt. Die Triolen blies er mit auftrumpfender Verve und überstrahlte damit locker das Orchester. Mir persönlich war dies etwas zu demonstrativ, was aber in einem Wettbewerb durchaus klug sein kann. Dem Gros des Publikums gefiel es jedoch ausnehmend.
Licht und Schatten
An diese beiden hervorragenden Leistungen konnte Raphael Horrach, ebenfalls aus Frankreich nach der Pause nicht ganz anknüpfen, da er weder über den Farbenreichtum und die Poesie von Sandro Hirsch noch über das kraftvolle Temperament von Robin Paillet verfügte. Deshalb blieb seine Lesart ein wenig blass. Hinzu kamen ein paar schlecht ansprechende Töne und ein Zuwenig an Kondition, um sich bei den Triolenstellen gegenüber dem Orchester zu behaupten.
Nachvollziehbare Entscheidung
Die Entscheidung der Jury, die Robin Paillet, der auch den Publikumspreis erhielt, mit dem 1. Preis auszuzeichnen und die Plätze 2 und 3 an Sandro Hirsch und Raphael Horrach zu vergeben, kann ich – auch aufgrund des von Paillet wundervoll musizierten Hummel-Konzerts im Semifinale – absolut nachvollziehen.
Großes Kompliment an das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das sich mit 5 Saxophonen, vielfältigem Schlagwerk und Hammond-Orgel in einer doch eher ungewohnten klanglichen Umgebung in der Enge eines fast Mahler-artig voll besetztem Podiums beweisen musste. Sasha Scolnik-Brower leitete das groß besetzte Orchester mit großer Umsicht zu fein differenziertem Musizieren an!
Thomas Baack (13.09.2025)