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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Unterschiedliche Charaktere

Semifinale im Fach Flöte beim ARD-Musikwettbewerb

Die Vorgabe für das gestrige Semifinale im Fach Flöte umfasste neben dem Pflichtstück von Beat Furrer eines der Solokonzerte von Carl Philipp Emanuel Bach, wobei hier die Auswahl auf das dramatisch-düstere in d-Moll Wq 22 oder das freundliche, dabei höchst virtuose in G-Dur Wq 169 beschränkt war. Letzteres schrieb Bach ursprünglich als Orgelkonzert, was die extrem langen, atemtechnisch anstrengenden und teilweise wenig idiomatischen Soloabschnitte erklärt. Deshalb trauten sich auch nur zwei Teilnehmer dieses Werk zu.

Ein ähnliches „Recycling“ betrieb Beat Furrer im Pflichtstück „melodie für Flöte solo“, das weitgehend auf seinem Ira-Arca für Flöte und Kontrabass basiert. Eigentlich kamen nur ein paar „ordinario“ zu spielende Passagen mit Vierteltönen an der oberem Grenze des Umfangs (gis3, a3) im Fortissimo hinzu, die jedoch eher tinnitös als melodisch wirken. Grundidee des Stücks ist die Entkoppelung von Greifen und Artikulation, was seit Luciano Berios Gesti aus den 60er Jahren immer wieder gern als Effekt genutzt wird, jedoch mittlerweile abgegriffen wirkt. Windgeräusche, Sputati, Klappengeklapper sind legitime Mittel, wenn man hierdurch wirklich etwas ausdrücken will, als l’art pour l’art jedoch mittlerweile entbehrlich. Wenn man das Ganze zusätzlich noch meint, auf 5 Ebenen notieren zu müssen, – was mindestens 18 Monate Übens erforderte – darf man sich nicht wundern, wenn gewünschte Effekte durch Ähnliches ersetzt werden.

Unterschiedliche Ansätze

Yubeen Kim (Südkorea) blies sein d-Moll Konzert mit vollem, markigem Ton. Er artikulierte höchst präzise, hätte aber im Schluss-Satz seine durchaus brillante Doppelzungentechnik, die allerdings nur im Staccato und Halbstaccato funktioniert, nicht derart penetrant ausstellen müssen. Hier wären ein paar Legati und Portati durchaus angebracht gewesen. Die Töne der dritten Oktave klangen nicht frei, sondern forciert. Seine Verzierungen waren durchaus gut gewählt, hätten aber abwechslungsreicher sein können. Die Kadenz im Mittelsatz war definitiv zu lang. Das Pflichtstück verkaufte er gut und ließ sich von dessen überkomplexer Notation wenig beeindrucken.

Rafael Adobas Bayog (Spanien) bot im Vergleich einen tonlich überschlanken Gegenpol. Er wählte das wesentlich anspruchsvollere G-Dur Konzert, kam hierbei jedoch an seine technischen Grenzen. Die langen 16-tel-Passagen der schnellen Sätze wirkten verhudelt, da die Souveränität fehlte, dort agogische Schwerpunkte zu markieren.

Leonie Virginia Burmüller (Deutschland) lebte in der Dramatik des d-Moll-Konzerts, ohne die Schönheit ihres in allen Lagen ausgeglichenen Tones und ihre ökonomische Spielhaltung zu verlieren. Sie verzierte höchst geschmackvoll, artikulierte abwechslungsreich mit schönklingender Doppelzunge im dichten Portato. Die Töne der dritten Oktave klangen frei und unforciert. Die Steigerung um T. 130 des Finales sorgte für einen Gänsehautmoment. Auch hatte man bei ihr erstmalig das Gefühl, dass man das Pflichtstück als Musik anstatt als Geräuschetüde interpretieren kann.

Mario Bruno (Italien) hat die „Anweisung“ von Johann Joachim Quantz so weit verinnerlicht, dass ihm eine stilistisch perfekte Wiedergabe der G-Dur-Konzerts glückte. Zwar kämpfte auch er – allerdings immer mit rundem sonoren Klang – ein wenig gegen die unidiomatische Faktur des Solo-Parts. Aber es gelang ihm, die Idiomatik der Traversflöte auf das moderne Böhm-Instrument zu übertragen, indem er lange Töne mit wundervollen Messa-di-voce-Effekten versah und sogar Flattements (Fingervibrati) einbezog. Zudem verzierte er ausgiebig, jedoch immer in den Grenzen des „Bon Goût“ und niemals showy. Er war übrigens als einziger so schlau, das Pflichtstück, das auf 5 überformatigen Einzelblättern gedruckt wurde, einzuscannen anstatt drei Notenständer zu bemühen.

Lucas Spagnolo (Deutschland) hatte dagegen mit eher dünnem Ton und einem vergleichsweise brav-introvertiertem Auftreten im d-Moll-Konzert einen schweren Stand. Er phrasierte zwar sinnig, aber etwas spannungslos. Seine Verzierungen waren durchaus phantasievoll, die Doppelzunge ließ Artikulationsvarianten zu, allerdings kamen Staccati etwas gewaltsam mit ungewollten Akzenten. Hier hätte „kurz“ genügt. Die Hochtöne verloren etwas an Rundung und tendierten beim e3 ins Grelle. Der unmittelbare Beginn des Pflichtstücks ohne vorherige Konzentrationssekunde wirkte etwas kopflos.

Mühelose Tonschönheit

Olivier Girardin (Frankreich) bot im d-Moll-Konzert die rundeste Leistung des Abends. Eine noble Spielhaltung und ökonomische Bewegungen ermöglichten ihm eine mühelose Tonschönheit. Das wirkte im Kopfsatz – auch aufgrund der schlackenlosen Technik, der feinfühligen Dynamik und der gekonnten Agogik – lyrisch. Er erfasste als einziger, dass T. 63 ff. des Mittelsatzes wie ein Accompagnato-Rezitativ behandelt gehören. Das Laufwerk des Finales gelang ihm schlackenlos mit flockiger Doppelzunge. Das Pflichtstück spielte er am notengetreuesten und hatte offensichtlich – wie auch im Konzert – viel Spaß beim Musizieren.

Auch das Münchener Kammerorchester darf nicht unerwähnt bleiben, da es den intrikaten Streichersatz der Konzerte mit seinen rüden Dynamikwechseln schlank, klangschön und trotz Vibratofreiheit ungemein intonationssicher zu Gehör brachte. Dialog und Duett-Stellen zwischen Violinen und Flöte gelangen jedes Mal perfekt.

Völlig zu Recht sind Leonie Virginia Burmüller und Mario Bruno im Finale. Statt Yubeen Kim hätte ich dort lieber Olivier Girardin noch einmal gehört.

(05.09.2022)

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