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Besprechung CD

Erkki Melartin

Symphonies 5 & 6
Turku Philharmonic Orchestra • Ari Rasilainen

cpo 555 558-2

1 CD • 68min • 2022

21.07.2025

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

„Noch um 1915 war Erkki Melartin neben Sibelius praktisch der einzige Symphoniker Finnlands. Kompositorisch war er so vielseitig und produktiv wie kein zweiter. Er hinterließ sechs Symphonien [entstanden zwischen 1902 und 1924, Anm. BS], eine Oper und ein Ballett, ein Violinkonzert, symphonische Dichtungen und Orchestersuiten sowie eine Vielzahl instrumentaler und vokaler Werke“, heißt es im Booklet über den 1875 geborenen und 1937 gestorbenen Komponisten. Zwei Dinge müssen dazu angemerkt werden. Erstens: dass Melartin damals neben dem „Übervater“ Jean Sibelius „praktisch“ der einzige Symphoniker Finnlands war, ist „faktisch“ falsch, genannt seien hier nur seine Landsmänner Leevi Madetoja (1887–1947, zwei Sinfonien, entstanden zwischen 1914 und 1918), Aarre Marikanto (1893–1958, drei Sinfonien, entstanden zwischen 1914 und 1953), und Väinö Raitio (1891–1945, eine Sinfonie, entstanden 1918-19). Den Namen Uuno Klami (1900–1961) müsste man in diesem Zusammenhang eigentlich auch nennen, seine beiden Sinfonien entstanden aber später (1938 und 1945), jedoch ebenfalls noch zu Lebzeiten von Sibelius. Das Zweite, das gesagt werden muss: Es ist erstaunlich, richtiger gesagt traurig, dass es angesichts von Melartins Vielseitigkeit und Produktivität nur so wenige Alben mit seiner Musik zu kaufen gibt. Und so ist mehr als nur begrüßenswert, dass cpo nun eine hervorragende Neueinspielung seiner fünften und sechsten Sinfonie vorlegt. (Die 1999 bei Ondine erschienene Gesamteinspielung aller sechs Sinfonien Melartins mit dem Tampere Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Leonid Grin auf drei CDs ist längst vergriffen.)

„brevis“, aber nicht „kurz“

Warum die traditionell viersätzige und mit ihren gut 33 Spielminuten „normal“ lange fünfte Sinfonie, die im Wesentlichen zu Beginn des Ersten Weltkriegs entstand, den Titel „brevis“ trägt, ist nicht restlos geklärt. Melartin hatte ursprünglich „nur“ eine Sinfonietta schreiben wollen, die sich dann (vielleicht) zu dieser „richtigen“ Sinfonie ausgewachsen hat. Ari Rasilainen, der finnische Dirigent dieser Aufnahme, hat eine andere Erklärung, die er mir bei einem Telefonat so erläuterte: „Der Beiname ‚brevis‘ bezieht sich nicht auf die Dauer des Werks, sondern auf seine strukturelle Dichte. Von ihrem Aufbau und ihrer Form her kann man Melartins ‚Fünfte‘ in vieler Hinsicht mit Sibelius‘ 5. Sinfonie vergleichen. In ihr fallen Eigenschaften einer Orchestersuite auf. Und da der erste und zweite Teil wie auch der dritte und vierte Teil attacca gespielt werden sollen, lässt sich sagen, dass es sich hier nur um ein ‚kurzes‘ zweisätziges Werk handelt.“ Energetisch schöpft diese Musik aus dem Vollen – und sie scheut sich dabei nicht, hörbar an die überfeinerte Tonsprache der Belle Époque und dabei vor allem an Bruckner und Mahler anzuschließen. Vor allem im ersten Satz vermeint man mitunter indirekte, also eher strukturelle als „wörtliche“ Zitate aus den Sinfonien der genannten Meister zu vernehmen. Vielleicht könnte man Erkki Melartin als den finnischen Karl Weigl bezeichnen, zumal Letztgenannter auch nach dem „Sündenfall“ des Großen Kriegs die Traditionslinie der spätromantisch-tonalen Musik (halbwegs) ungebrochen fortschreibt und dabei an dem Prinzip der „Großen Erzählung“ festhält, für die die Sinfonie wie kaum eine andere Gattung (seit Beethovens „Neunter“) geradezu paradigmatisch steht. Melartins fünfte Sinfonie ist aber insofern „absoluter“ konzipiert als seine sechste (dazu später mehr), weil alles in ihr auf die „bilderlose“ Quadrupelfuge am Schluss des letzten Satzes zuläuft, in der die Themen der vorangegangenen Sätze kontrapunktisch zusammengeführt und überhöht werden. Ari Rasilainen beschreibt den Satz so: „Die Fuge mit vier Themen im Finale ist ein spektakuläres Meisterwerk. Der wilde Anfang ist beeindruckend und er geht quasi in die Mystik eines Perpetuum mobile über. Zum Schluss verschmilzt alles zu einem umfassenden Triumph.“

Klingende Weltanschauung

Melartins erste Beschäftigung mit seiner 1925 vollendeten 6. Sinfonie fällt schon in das Jahr 1908, die frühesten Skizzen zu diesem Werk stammen von 1918. „Ich schreibe eine Sinfonie der vier Elemente“, heißt es in einem Brief Melartins aus dem Jahr 1919. „Jetzt komponiere ich gleichzeitig ‚die Erde‘ und ‚die Luft‘, aber auch das Material zu den anderen Sätzen entsteht in meinem Kopf.“ Inwieweit sich Melartin für das Konzept zu seiner ‚Sechsten“ von der zweiten, De fire Temperamenter (Die vier Temperamente) überschriebenen Sinfonie seines dänischen Freundes Carl Nielsen hat anregen lassen, wird im Booklet nicht erörtert. Strukturelle Parallelen lassen sich durchaus erkennen, zumal die „magischen“ oder, um mit Rasilainen zu sprechen, mystischen vier Temperamente (Elemente, Jahreszeiten…) geradezu dafür prädestiniert sind, eine „alchemistische“ Verbindung mit der klassisch viersätzigen Sinfonie einzugehen. Programmatisch und offiziell wollte Melartin sein Werk aber nicht als „Sinfonie der vier Elemente“ verstanden wissen. Die inhärente Esoterik der ‚Sechsten‘, in der sich Melartins theosophische und rosenkreuzerische Weltanschauung artikuliert, sollte laut Booklet-Text nur einem engen Kreis von Gleichgesinnten zugänglich und verständlich sein. Um dieses ungemein farbige, harmonisch raffinierte (und im ersten Satz nahezu avancierte) Werk mit Genuss hören zu können, braucht es den weltanschaulichen „Ballast“ (heute) nicht (mehr). Das faszinierende, wenngleich mitunter eklektische Amalgam aus „Wagnerismus, Symbolismus, Impressionismus, (…) spätromantischer Expressivität (und) Moderne des beginnenden 20. Jahrhunderts“ (Booklet) ist für unsere heutigen an der Postmoderne und Pluralität geschulten Ohren wieder ganz neu erfahrbar.

„Absolut“ stimmig

Ari Rasilainen und das Turku Philharmonic Orchestra – dessen Wurzeln bis in das Jahr 1790 zurückreichen und das damit eines der ältesten Orchester der Welt ist – starten ihre Reihe der Neueinspielung aller Melartin-Sinfonien für cpo auf hohem künstlerischen Niveau. Die Vielschichtigkeit, Farbigkeit, Expressivität und kontrapunktische Meisterhaftigkeit dieser späten und „mit Ansage“ stilpluralistischen Gattungsbeiträge, die bei aller „Mehrstimmigkeit“ noch einmal große holistische Narrative der Menschheitsgeschichte aufrufen und damit auf Totalität (im Gewand der Tonalität) zielen, wird in den Aufnahmen intensiv erfahrbar. Auch in den dichten, mitunter sogar dick aufgetragenen Passagen der Musik bleibt der Orchestersatz stets transparent und durchhörbar. Und da Rasilainen es versteht, die inhaltlich-bildlichen Programme der Sinfonien ihren letztlich doch immanent-absolut empfundenen Konzepten souverän unterzuordnen und (rein) musikalische Verläufe stringent ins Werk zu setzen, darf man seine Lesarten auch in dieser Hinsicht als in sich stimmig bezeichnen. Die Fortsetzung dieser Melartin-Sinfonien-Reihe mit den finnischen Musikern ist „absolut“ wünschenswert.

Dr. Burkhard Schäfer [21.07.2025]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Erkki Melartin
1Sinfonie Nr. 5 a-Moll op. 90 (Brevis) 00:33:02
5Sinfonie Nr. 6 op. 100 00:34:40

Interpreten der Einspielung

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