Joseph Haas 1
Gerit Lense Klavier

Ars Produktion ARS 38 671
1 CD • 64min • 2001, 2003
21.02.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
„Es gibt wohl in der Reger-Nachfolge kaum eine subtilere und dabei gemütswärmere Musik als diese“ – so schreibt Klaus Wolters in seinem meinungsfreudigen, manchmal durchaus kontroversen, aber stets anregenden Handbuch der Klavierliteratur zu zwei Händen über die Klavierwerke von Joseph Haas (1879–1960). Vor gut 20 Jahren hat sich die Pianistin Gerit Lense einiger dieser Werke angenommen; seinerzeit erschienen zwei CDs beim verdienstvollen, mittlerweile aber leider nicht mehr existenten Label Cavalli Records. Umso erfreulicher ist daher, dass mit dem vorliegenden Album die erste dieser beiden CDs bei Ars Produktion wiederveröffentlicht wird.
Reger-Nachfolge, volkstümliche Einschläge und mehr
Haas, der zunächst als Lehrer arbeitete, kam in seinen jungen Jahren insbesondere mit Haus- und Kirchenmusik in Berührung, bevor er Schüler von Max Reger wurde (der ja faktisch bis auf wenige Jahre sein Generationsgenosse war, was angesichts eines kompositorischen Schaffens bis ins Jahre 1960 hinein leicht übersehen werden mag). In mancher Hinsicht hat all dies seine Spuren in Haas’ Musik hinterlassen: natürlich hörbar von Reger geprägt, ist der Satz jedoch wesentlich transparenter, die Atmosphärik insgesamt lichter, freundlicher und oft mit volkstümlichem Einschlag. Ein Schwerpunkt seines Schaffens liegt auf der Vokalmusik, und der katholischen Kirche blieb Haas zeitlebens verbunden. Dass er gleichzeitig Mitbegründer (des Vorläufers) der Donaueschinger Musiktage war, zeugt wiederum von einer unaufgeregten, bei aller grundsätzlichen Traditionsverbundenheit modernere Tendenzen nicht prinzipiell ablehnenden Haltung. Exemplarisch hierfür stehen die Alte, unnennbare Tage überschriebenen vier Elegien op. 43 (1915), mit denen die CD beginnt und hinter denen sich ein substantielles Gedenkwerk für Haas’ Verleger und Freund Ludwig Schittler verbirgt, der im Ersten Weltkrieg ums Leben kam. Diese Musik entstammt zwar der Tonwelt Regers und der Klavierstücke des späten Brahms, bezieht aber gleichzeitig Einflüsse des Impressionismus mit ein. So entsteht eine Totenklage, die sich durch ein ganz eigentümliches Schweben auszeichnet, nicht nur in den Ganztonleitern des zweiten Stücks, sondern u.a. auch dann, wenn über weite Strecken der ersten und vierten Elegie das tonale Zentrum fast bis zum Schluss ungeklärt bleibt (zwischen E-Dur und cis-moll in Nr. 1, zwischen g-moll und B-Dur in Nr. 4): eine Musik voller Zwischentöne in über weite Strecken zarten, gedeckten Farben.
Der Humor eines vergnügten Schmunzelns
Haas schrieb drei Zyklen von Hausmärchen, kurzen, (auch technisch) relativ einfach gehaltenen Klavierstücken, deren ersten op. 35 (1911) Lense hier vorstellt – neun kleine, insgesamt keine 13 Minuten währende Skizzen, die auf sehr reizvolle Weise nicht unbedingt konkrete Bilder oder Situationen heraufbeschwören wollen, sondern eher mit feinem Strich volkstümlich-märchenhafte Stimmungen evozieren. Der Humor, den viele diese Stücke unzweifelhaft besitzen, ist dabei (wie allgemein für Haas charakteristisch) nicht derb, sondern eher derjenige eines vergnügten Schmunzelns. Erst recht trifft dies auf die Eulenspiegeleien op. 39 (1912) zu, gemäß Untertitel „allerlei Variationen über ein kurzweiliges Thema“. So sehr Haas hier auch der Schalk im Nacken sitzt, nicht nur im heiteren Thema selbst, sondern auch in den von etlichen überraschenden Wendungen in Harmonik oder Rhythmik bestimmten, sehr abwechslungsreichen Variationen: es ist immer ein leichter, feiner, geistreicher Humor, auch in der Schlussfuge, die nicht etwa auf einen machtvollen Höhepunkt abzielt, sondern schließlich in die Wiederkehr des Themas mündet, die das Werk in friedlicher Ruhe zu beschließen scheint – vermeintlich. „Volkstümlich“ einmal mehr hier nicht zuletzt der kleine Nachsatz, wie ein Schlussvers anmutend, der das Thema beschließt und in den Variationen entsprechend abgewandelt wird: musikalisch wird hier sozusagen der „erste Streich“ verkündet, auf denen dann etliche weitere folgen.
Kultivierte, verinnerlichte Interpretationen
Gerit Lense betont in ihren kultivierten, geschmackvollen Aufnahmen speziell die zarten, subtilen Seiten dieser Musik. Selbst dann, wenn Haas in den Elegien ausnahmsweise „mit größter Kraft“ zu spielende Passagen ausweist, versteht Lense dies eher relativ und letztlich doch verinnerlicht, durchaus im Sinne von Haas’ Forderung, die Musik möge „erschüttern, nicht zerschmettern“. Es sind warme, speziell auch in der Agogik flexible Interpretationen, die sowohl in den größeren, etwas abstrakteren Bögen der Elegien als auch in den knapper gehaltenen Zeichnungen der Hausmärchen oder der (schon in ihren Titeln ungemein sprechenden) Variationen der Eulenspiegeleien die entsprechende Charakteristik der Musik fein herauszuarbeiten verstehen. Dass der Klang der Aufnahmen eine Spur präsenter sein könnte, sollte lediglich als Randnotiz verstanden werden. Eine Bereicherung!
Holger Sambale [21.02.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Joseph Haas | ||
1 | Elegien op. 42 (Alte untrennbare Tage) | 00:25:55 |
5 | Hausmärchen op. 35 (Neun Klavierstücke) | 00:12:29 |
14 | Eulenspiegeleien op. 39 (Allerhand Variationen über ein kurzweiliges Thema für Klavier) | 00:20:09 |
Interpreten der Einspielung
- Gerit Lense (Klavier)