Bolko von Hochberg
String Quartets op. 22 & op. 27/1 | Piano Quartet op. 37
eda records EDA 052
1 CD • 79min • 2023
11.01.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Ähnlich wie der nur wenige Monate jüngere, lange überschätzte Heinrich von Herzogenberg (1843-1900), oder der 12 Jahre später geborene Heinrich XXIV. Prinz Reuss von Köstritz (1855-1910, nicht zu verwechseln mit dem derzeit wegen Revolutionsfantasien verhafteten gleichnamigen heutigen Prinzen), ist Hans Heinrich XXIV. Bolko Graf von Hochberg (1843-1926) einer jener Adligen, welche den hohen Stand der gelehrten Kompositionskunst konservativ-klassizistischer Couleur der Zeit zwischen Bruckner/Brahms und Mahler/Strauss im deutschsprachigen Raum belegen. Der gebürtige Schlesier studierte bei dem Kontrapunktpapst Friedrich Kiel in Berlin, gründete 1876 die Schlesischen Musikfeste und war von 1886 bis 1902 General-Intendant der Königlichen Schauspiele in Berlin, also auch der Preußischen Hofoper, wo er 1898 Richard Strauss als Hofkapellmeister engagierte. Dies ist eines von mehreren Indizien für seine fortschrittliche musikalische Haltung, die sich auch im Spielplan trotz des stockkonservativen Umfelds merklich niederschlug und schließlich anlässlich der Absetzung von Strauss’ Feuersnot zum offenen Streit und seiner Demissionierung führte.
Strukturell klar, natürlich musikantisch
Bolko von Hochberg hat sich sowohl als Symphoniker als auch als Opernkomponist betätigt und zahlreiche Lieder geschrieben. Sein Kammermusikschaffen ist von besonderer Feinheit und Eleganz und lässt hoffen, dass es einen gültigen Wert über die zeitliche und lokale Gebundenheit hinaus besitzt. Dies nun erstmals per Aufnahmen von drei seinerzeit gedruckten Werken nachvollziehen zu können ist das große Verdienst dieser Veröffentlichung in der stets so entdeckungsreichen und herausragend kuratierten Berliner eda-Edition. Wie schon jüngst in Kammermusik des gleichfalls erstmals wiederentdeckten Beethoven-Zeitgenossen Johann Anton André sind auch hier das Polish String Quartet Berlin und der Pianist Adam Tomaszewksi mit nüchternem strukturellen Sachverstand und gesundem Sinn fürs natürlich Musikantische ausgestattete Protagonisten (die Zuschreibungen ‚natürlich‘ und ‚musikantisch‘ definiere ich als positive, unbedingt erforderliche Grundtugenden für ein lebendig ausdrucksfähiges Musizieren), wodurch wir vor grundsätzlichen Missdeutungen des Tonsatzes geschützt sind. Gleichwohl bleibt Spielraum nach oben: Eine differenziertere Ausweitung des dynamischen Spektrums (insbesondere viel bewussteres Eintauchen ins und Beibehalten des Pianissimo) wäre sehr der dramatischen Gesamtwirkung der Form förderlich, und gelegentlich ist auch ein Tempo (wie das Allegretto vor der Coda des Finales im 1. Quartett, das als glattes Allegro genommen wird) aus den Fugen geraten.
Subtile Nuancen, zusammenhängende Formung
Die Reihenfolge der drei Werke auf dieser CD ist insofern gut gewählt, als sie nicht nur der Chronologie der Entstehung entspricht, sondern zugleich eine kontinuierliche Steigerung der kompositorischen Qualität dokumentiert (von allen drei Werken ist nur das Datum des Erstdrucks überliefert, nicht jedoch dasjenige der Entstehung).
Schon gleich das erste Quartett präsentiert uns Bolko von Hochberg als feinsinnigen und anmutigen Meister, der mit gutem Geschmack und einprägsamer Erfindung den Hörer auf die Reise mitnimmt und dafür keiner Klangsensationen oder neuen Formen bedarf. Alles gedeiht auf dem wohlbereiteten Boden der Tradition. Um den Wert dieser Musik einschätzen zu können, reicht es nicht, die berühmten Werke der Vorläufer Haydn, Mozart, Cherubini, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Volkmann oder Brahms zu kennen – es empfiehlt sich sehr, auch Gattungsbeiträge von Jadassohn, Draeseke, Saint-Saëns, Goetz, Thieriot, Gernsheim, Rüfer, Philipp Scharwenka, Robert Fuchs, Klughardt, Arnold Krug, Richard Barth, Hans Huber, Koessler, Humperdinck, Röntgen, Prinz Reuss, Arnold Mendelssohn, Kienzl oder Puchat zu Rate zu ziehen, um nur einige Meister aus jener überreichen Fülle der deutschen sogenannten ‚romantischen‘ Tradition zu nennen, in welche auch der Graf von Hochberg eingebettet ist. Während einige Wenige eher den seit Liszt und Wagner sich zusehends durchsetzenden Neuerungen zuneigen, agieren doch die meisten auf vertrautem Terrain, und dort zeichnen sich jene besonders aus, die uns mit subtilen Nuancen und konzentriertem Sinn für die zusammenhängende Form fürs Zuhören belohnen. Hier ist auch der Platz Bolko von Hochbergs.
Weltmännischer Charme und gemütvolle Gelehrsamkeit
Bolko von Hochberg schreibt makellose Fugato-Episoden (hier eher an Beethoven orientiert: geradezu ein affirmatives Fugenstimmen-Schaulaufen das Finale des 2. Quartetts) und sehr gut aufgebaute, abwechslungsreiche Variationssätze (Finale des 1. Quartetts, langsamer Satz des 2. Quartetts – hier und vor allem in den Scherzi/Menuetten teils erkennbar an Schubert orientiert). Als das Feinste und Charakteristischste aus seiner Feder erscheint mir der – zu Beginn fast ein wenig vom berühmten fis-moll-Mittelsatz aus Mozarts Konzert KV 488 inspirierte – langsame Satz des Klavierquartetts, welches insgesamt am meisten (auch die hier im Finale ein wenig zur Redundanz neigende Motiv- und Phrasenbildung) von Schumann beeinflusst ist, was kein Wunder ist angesichts der bereits damals so dominanten Stellung von dessen einzigem Klavierquartett. Bolko von Hochbergs Ausstrahlung in der Musikgeschichte ist zwar einerseits eingegrenzt durch die nicht allzu große Selbstständigkeit seines Stils, umfängt jedoch andererseits mit so viel weltmännischem Charme und gemütvoll dargereichter Gelehrsamkeit, die auch gelegentlich überraschende Wendungen in ein logisch erscheinendes Licht rückt, dass alle drei Werke auch in der heutigen Zeit mit Erfolg in die Öffentlichkeit geschickt werden können. Dies überzeugend bewiesen zu haben ist der Hauptbeitrag dieser Edition.
Dass sich Bolko von Hochbergs drittes Streichquartett nicht auf dieser CD findet, liegt wohl daran, dass die Noten bisher nicht aufgefunden werden konnten. Wer eine Idee hat, wo sich diese befinden könnten, sollte dies unbedingt der Fachwelt mitteilen. Der hohe Wert dieser Veröffentlichung bemisst sich unter anderem auch daran, dass Norbert Florian Schuck sie wieder einmal mit einem Booklettext von erlesener Genauigkeit und exemplarischer Qualität bedacht hat.
Christoph Schlüren [11.01.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Bolko von Hochberg | ||
1 | Streichquartett Es-Dur op. 22 | 00:24:52 |
5 | Streichquartett D-Dur op. 27 Nr. 1 | 00:24:06 |
9 | Klavierquartett B-Dur op. 37 | 00:29:57 |
Interpreten der Einspielung
- Polish String Quartet Berlin (Streichquartett)
- Adam Tomaszewski (Klavier)