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Besprechung CD

Hans Winterberg

Chamber Music Vol. 1

eda records 051

1 CD • 67min • 2024, 2023

19.09.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Vor noch nicht einmal zehn Jahren gab es von der Musik des in Prag geborenen, aus einer jüdischen Familie stammenden Hans Winterberg (1901–1991) weder kommerzielle Einspielungen noch Notenausgaben. Die Gründe dafür sind vielschichtig und in wenigen Zeilen kaum befriedigend wiederzugeben. Zu Winterbergs verschlungenem Lebensweg, der ihn, nachdem er das Ghetto Theresienstadt überlebt hatte, nach Bayern führte, wo er beim Rundfunk eine Anstellung fand, kommt eine komplexe familiäre Konstellation hinzu; sein Stiefsohn versah Winterbergs Nachlass u.a. mit einer Sperrklausel bis zum Jahre 2030. Es ist dem Engagement von Winterbergs leiblichem Enkel Peter Kreitmeir zu verdanken, dass diese Musik der Versenkung und dem Vergessen entrissen wurde. Und so beginnt nun (nach Toccata Classics) auch das Label eda records eine Serie mit Kammermusik Winterbergs, deren Folge 1 den Jahren 1936 bis 1951 gewidmet ist.

Ein eigenes Profil zwischen den Kulturen

Wie in Frank Harders-Wuthenows ausgezeichnetem, sehr fundiertem Begleittext erläutert, ist Winterberg ein Komponist zwischen tschechischer (Janáček) und deutscher (Schönberg, Hindemith) Musikkultur, auch Einflüsse Bartóks und Debussys spielen eine Rolle. Er entstammt also einem sehr ähnlichen Schmelztiegel von Einflüssen wie etwa die mit ihm durchaus vergleichbaren Hans Krása oder Pavel Haas. Eine Besonderheit von Winterbergs Musik besteht dabei in ihrem ausgeprägten Interesse an rhythmischen Prozessen, die oft strukturverleihende Bedeutung haben, etwa in Form von Ostinati, kleinen metrischen Verschiebungen, die die Motorik der Musik „stören“ und so wesentlich prägen, oder komplexen polyrhythmischen Strukturen. All dies geschieht im Rahmen einer frei gehandhabten, expressiv verstandenen Tonalität.

Herb, eindringlich, kompakt

Das Album präsentiert fünf Werke in umgekehrter chronologischer Reihenfolge, und so steht am Anfang Winterbergs Cellosonate (1951) als Beispiel seiner reifen Tonsprache. Herbe, eindringliche, in den Ecksätzen von gespannter Unruhe geprägte, dabei durchaus neoklassizistisch orientierte Musik, kompakt gehalten und mit einem sehr stimmungsvollen langsamen Satz, in dem sich vor triolischer Begleitung eine tief empfundene Cellokantilene entspinnt. Typisch für viele der hier versammelten Werke sind die Momente eines (allerdings nicht explizit als solches realisierten) Perpetuum mobiles im Finale. Sehr konzise gehalten sind die beiden Suiten für Viola (1948/49) bzw. Trompete und Klavier (Nr. 1, 1945). Dabei ist die Violasuite speziell in den ersten beiden, lyrischen dominierten Sätzen das am deutlichsten impressionistisch angehauchte Werk, während die Trompetensuite auf intelligente, sehr reizvolle Weise mit Paradigmen von Trompetenliteratur (wie Fanfarenanklängen) spielt, im dunklen Nocturne des langsamen Satzes sorgt die Flatterzunge für ein hintergründig-schattenhaftes Ambiente.

Eindrucksvoller Expressionismus der Vorkriegszeit

Mit der Violinsonate (1936) begibt sich das Programm in die Vorkriegszeit; Zentrum dieses Werks ist sein vergleichsweise ausladender erster Satz, der zwar durchaus rhapsodisch anmutet, jedoch stets von einem auf kurzen rhythmischen Gesten und Motiven aufbauenden Vorwärtsdrang getrieben wird. Dezidiert streng, ernst der kurze langsame Satz, währen das brüske, energische Finale wiederum von expressiver Motorik dominiert wird. Schon hier tendiert Winterberg im Vergleich zur klassizistischeren Cellosonate eher zum Expressionismus, und noch wesentlich stärker gilt dies für sein Streichquartett Nr. 1, der Symphonie für Streichquartett ebenfalls aus dem Jahre 1936. Sinfonisch ist das Werk nicht etwa durch eine viersätzige Struktur oder durch zeitliche Ausdehnung – genau wie Winterbergs ebenfalls in diesen Jahren entstandene Sinfonie Nr. 1 handelt es sich vielmehr um einen (relativ) kompakten, dicht gearbeiteten Einsätzer. Ein eindrucksvolles, von einer unruhigen, nervösen Grundstimmung geprägtes Werk mit kreisenden Ostinati, das schließlich in ein unschlüssiges, offen-nachdenkliches Ende mündet.

Vorzügliche Interpretationen

Die Interpretationen durch das Adamello-Quartett (der Primgeiger Clemens Linder und die Cellistin Adele Bitter fungieren auch als Solisten in den Sonaten), Holger Groschopp am Klavier, dem Bratscher Hartmut Rohde und dem Trompeter Andre Schoch sind durch die Bank vorzüglich geraten, sorgfältige, die Charakteristika von Winterbergs Tonsprache und ihren Facettenreichtum (siehe etwa Rohdes wundervollen, betörenden Ton in den lyrischen Passagen der Violasuite) mustergültig herausarbeitende Lesarten. Nur die Cellosonate lag bislang in einer Aufnahme vor, und hier erweist sich die Einspielung von Bitter und Groschopp als die differenziertere, intensivere, der Spannung und den Schärfen dieser Musik wesentlich konsequenter Rechnung tragende Interpretation. Sehr empfehlenswert!

Holger Sambale [19.09.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Hans Winterberg
1Sonate für Violoncello und Klavier 00:12:43
4Suite für Viola und Klavier 00:07:43
7Suite Nr. 1 für Trompete und Klavier 00:05:43
10Sonate für Violine und Klavier 00:17:22
13Streichquartett Nr. 1 (Symfonie für Streichquartett) 00:23:44

Interpreten der Einspielung

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