Alexander Maria Wagner
Käfer töten
Graham Valentine & Ensemble
TYXart TXA23175
1 CD • 58min • 2023
02.10.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Titel dieses neuen Albums suggeriert, dass man sich auf etwas gefasst machen muss: „Käfer töten“. Und richtig - das neue Album des jungen, hochgelobten Komponisten Alexander Maria Wagner zieht uns hinein in ein schräges Panoptikum aus Wahnsinn und schwarzem Humor. Wagner hat offensichtlich erkannt, dass wahre Kunst immer auch etwas mit Subversion zu tun hat und jede Angepasstheit auf Dauer lähmend, ja mitunter tödlich wirkt. Zusammen mit dem schottischen Vokal-Künstler Graham Valentine und einem handverlesenen Kammerensemble führt er dies eindrucksvoll vor.
Im Zentrum seines Konzeptalbums, das man auch als Liederzyklus – im allerweitesten Sinne – bezeichnen kann, steht eine abseitige Textlyrik, die von Graham Valentine in all ihren Facetten singend, sprechend, rezitativisch und lautmalerisch inszeniert wird. Das wirkt wie dass Epizentrum einer Klangwelt, die in bestem Sinne dazu angetan ist, in einen Stream of Consciousness voller Verrücktheit hinein zu ziehen.
Lust am Tabubruch
Ausgiebig wird die Lust am Tabubruch gefeiert: kindliche Lust am Töten, Grausamkeit in ihrer Urform. Von dort aus erfolgen schillernde Streifzüge durch die Labyrinthe des Unbewussten, die an die düsteren Welten eines David Cronenberg oder Franz Kafka erinnern mögen. Wir taumeln von „Sommer“ über „Käfer töten“ bis hin zu „Regenbogen“: Neun Stationen einer Reise ins Ungewisse, die mit jedem Schritt tiefer in die psychischen Untiefen der Existenz führen. Mit dem Schotten Graham F. Valentine hat sich der junge Komponist eine illustre Gestalt ins Boot geholt, die als Theaterschauspieler und in der neuen Musik international für Furore sorgt. Es überrascht beim Hören dieses Werkes dann auch nicht, dass Schönbergs Pierrot Lunaire ebenfalls zu Valentines Erfahrungsschatz gehört.
Zwischen Moritat und Melodram
Valentine bewegt sich zwischen gutturalem Gesang und hysterischem Falsett, zwischen Moritat und Melodram und erkundet dabei alle möglichen Zwischenwelten zwischen Sprech- und Singstimme. Mal ist seine Stimme kaum mehr als ein gehauchtes Flüstern, das sich aus dem instrumentalen Dickicht herauslöst. Oft bietet sie der brachialen Wucht der entfesselten Klangkulisse Paroli, die sich wie eine Flutwelle über den Hörer ergießt. Neben dem drastischen Stimmeinsatz tragen auch viele plakative instrumentale Gesten zum Gesamteindruck bei: brutale Fortissimo-Schläge des Klaviers prasseln auf das Bewusstsein ein, während gellende Piccoloflöten das Hörspektrum am obersten Rand bedienen – eben so, wie es die Partitur Alexander Maria Wagners, die hier ihre Welterstaufnahme erfährt, vorsieht.
Marathon für die Ohren
Fazit: Hier ist viel Fantasie gehörig auf die schiefe Bahn geraten – so ähnlich, wie die Tonalität der dichten Instrumental-Arrangements zuweilen gehörig „verbogen“ werden. Das alles wirkt so, als würde Wagner mit augenzwinkerndem Sadismus die Zuhörer in die dunkelsten Ecken der Vorstellungskraft ziehen, damit diese sich den Abgründen stellen.
Zugegeben: „Käfer töten“ ist eine Zumutung, ja eine sportliche Herausforderung für die Ohren und ein Marathon fürs Gehirn. Man muss Luft holen und sich wappnen, bevor man sich in diesen Strudel stürzt. Doch wer durchhält, wird belohnt – vor allem mit der Erkenntnis, dass es sie immer noch gibt: junge Menschen wie der aus Starnberg stammende Komponist Alexander Maria Wagner, der sich hier, aber auch in vielen anderen vielbeachteten Produktionen, gleichermaßen tief ernst und mit fröhlicher Anarchie dem Genormten widersetzt.
Stefan Pieper [02.10.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Alexander Maria Wagner | ||
1 | Käfer töten | 00:57:55 |
Interpreten der Einspielung
- Graham F. Valentine (Gesang)
- Enikő Cseh (Querflöte)
- Jake Mann (Klarinette)
- Florian Moser (Violine)
- Felix Rosenboom (Violoncello)
- Shun Oi (Klavier)
- Christian Spătaru (Dirigent)