Mélodies d'ailleurs
Viviane Hasler, Maren Gamper
Carpe Diem 16354
1 CD • 62min • 2023
21.06.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Lieder von damals“ – unter diesem recht allgemeinen Titel versammeln die Sopranistin Viviane Hasler und ihre langjährige Klavierbegleiterin Maren Gamper in ihrem Debüt-Album Kompositionen von vier französischen Komponisten des Fin de Siècle, die aus der romantischen Tradition kommend, dem Impressionismus nahestanden. Nach Auskunft der Künstlerinnen handelt es sich dabei um „Lieblingslieder“: „Der Ausdruck des Gefühls und der Stimmungen der einzelnen Stücke steht im Vordergrund, lässt auch Brüchigkeit zu, und gibt der Schönheit der Sprache Raum“. Dieser selbst gestellte Anspruch wird in ihrem ersten Recital erfüllt.
„Vergessene Lieder“
Als der 26jährige Claude Debussy 1888 sechs Lieder nach Gedichten von Paul Verlaine veröffentlichte, blieb das Echo sehr bescheiden. Erst nach dem riesigen Erfolg seiner Oper Pelléas et Mélisande (1903) wagte er eine neue Edition und gab ihr den Titel Ariettes oubliées. Einige Lieder daraus verewigte er bereits ein Jahr darauf mit seiner Mélisande Mary Garden auf Schallplatten. Während Verlaines Gedichte von seiner nicht unproblematischen Liebesbeziehung zum Kollegen Arthur Rimbaud inspiriert waren, dürfte Debussy die wohl unerfüllte Liebe zu der Sopranistin Marie-Blanche Vasnier angetrieben haben, der er die Lieder widmete. Diffuse Melancholie, der für die Zeit typische „ennui“ prägt die Texte, von „Liebesmüdigkeit“ ist die Rede, von „ertrunkenen Hoffnungen“. Doch ganz plötzlich, im vierten Lied Paysages belges, bricht in einer Jahrmarktszene der Frohsinn aus, hören wir ein Karussell mit Holzpferdchen, das sich immer schneller und schneller dreht, was im Klavierpart klangliche Gestalt annimmt.
Der mit Debussy befreundete, bei einem Fahrradunfall früh verstorbene Ernest Chausson (1855-1899) pflegt in Quatre mélodies op. 13, die hier um Hébé op. 2/6 sinnvoll ergänzt werden, eine fast klassisch zu nennende Einfachheit im Melodischen, was insbesondere zu den antiken Sujets (Cigale, Hébé) gut passt.
Pariser Salons des Fin de Siècle
Die Lieder der zu ihrer Zeit international bekannten Pianistin Cécile Chaminade (1857-1944) haben in den letzten Jahren erneut große Aufmerksamkeit gefunden. Völlig zu Recht. Die vier (von über 100) hier aufgenommenen Titel strahlen einen musikalischen Charme aus, dem man sich auch als heutiger Hörer nicht entziehen kann. Man wähnt sich in einen Pariser Salon des Fin de Siècle versetzt. Ob Frühling (Alleluia) oder Mondnacht (La lune paresseuse), immer spielt die Liebe eine zentrale Rolle, letztlich auch in den wirbelnden Tanzrhythmen von Villanelle. In Ma première lettre sinniert das lyrische Ich beim Betrachten eines längst vergessenen Briefes aus Kindertagen über die Vergänglichkeit: wird auch einst der erste Liebesbrief vergessen sein?
Die Lieder von Reynaldo Hahn (1874-1947), eines engen Freundes von Marcel Proust, sind in ihrem Salonton von ähnlicher Delikatesse wie die Arbeiten von Frau Chaminade. Der erste Titel A Chloris weckt Erinnerungen an die Musik des 18. Jahrhunderts, Spuren davon finden sich auch noch in Pholoé. Man erstaunt über das frühreife Talent des erst 13Jährigen in der Vertonung von Victor Hugos Si mes verses avaient des ailes (Wenn meine Verse Flügel hätten). Seine Adaption des viel vertonten Gedichts L’heure exquise von Paul Verlaine, das wir hier vorher auch in der Version von Ernest Chausson (Apaisement) zu hören bekommen, beschließt das Programm und führt auf den Beginn mit Debussys Verlaine-Liedern zurück.
Vielseitige Ausdruckspalette
Die vier Blöcke französischer „Mélodies“ (was in Frankreich zugleich der Gattungsbegriff des Kunstlieds überhaupt ist) werden durch die drei Gesänge Ophelia sings von Wolfgang Rihm getrennt, was einen interessanten Kontrapunkt schafft, auch wenn sich inhaltliche und stilistische Verwandtschaften nicht zwingend ergeben. Sie geben der Sängerin Viviane Hasler aber die Möglichkeit, innerhalb des lyrischen Programms auch ihre dramatische Seite zu zeigen, denn ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in szenischen Avantgarde-Projekten, die sie auch außerhalb des etablierten Theaterbetriebs realisiert. Die Stimme ist von herber Schönheit, die Ausdruckspalette sehr vielseitig, bei Chaminade und Hahn kann sie sehr mädchenhaft klingen, scheut an anderer Stelle aber auch scharfe Akzente nicht. Alles wird dem Inhalt der Dichtung untergeordnet. Maren Gamper ist ihr eine adäquate Partnerin, auch wenn man gelegentlich die impressionistischen Silbertöne vermisst.
Ekkehard Pluta [21.06.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Claude Debussy | ||
1 | C'est l'extase langoureuse (aus: Ariettes oubliées) | 00:02:57 |
2 | Il pleure dans mon coeur (aus: Ariettes oubliées) | 00:02:40 |
3 | L' ombre des arbres (aus: Ariettes oubliées) | 00:02:48 |
4 | Paysages belges (aus: Ariettes oubliées) | 00:03:35 |
5 | Aquarelles I (Green - aus: Ariettes oubliées) | 00:02:40 |
6 | Aquarelles II (Spleen - aus: Ariettes oubliées) | 00:02:31 |
Wolfgang Rihm | ||
7 | Ophelia sings Nr. 1 | 00:02:06 |
Ernest Chausson | ||
8 | Apaisement op. 13 Nr. 1 | 00:02:01 |
9 | Sérénade op. 13 Nr. 2 | 00:02:17 |
10 | L' aveu op. 13 Nr. 3 | 00:03:33 |
11 | La Cigale op. 13 Nr. 4 | 00:01:52 |
12 | Hébé op. 2 Nr. 6 | 00:03:18 |
Wolfgang Rihm | ||
13 | Ophelia sings Nr. 2 | 00:02:24 |
Cécile Louise Chaminade | ||
14 | Alleluia | 00:01:48 |
15 | Ma première lettre | 00:02:38 |
16 | La lune paresseuse | 00:03:17 |
17 | Villanelle | 00:02:22 |
Wolfgang Rihm | ||
18 | Ophelia sings Nr. 3 | 00:04:25 |
Reynaldo Hahn | ||
19 | A Chloris | 00:02:47 |
20 | Pholoé | 00:01:49 |
21 | L' Enamourée (à Miss Sibyl Sanderson) | 00:03:17 |
22 | Si mes vers avaient des ailes | 00:02:15 |
23 | L' Heure exquise (7 Chansons grises) | 00:02:04 |
Interpreten der Einspielung
- Viviane Hasler (Sopran)
- Maren Gamper (Klavier)