Karl Ditters von Dittersdorf
Symphonies after Ovid's Metamorphoses
cpo 555 429-2
2 CD • 1h 59min • 2020
03.10.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wollte man sich eine zugkräftige Headline zu den Metamorphosen des Publius Ovidius Naso – so Ovids vollständiger Name – ausdenken, dürfte diese wohl zu Recht „Verwandlungen zum Negativen im Reich der Titanen, Götter und Heroen“ lauten. Da das Werk Stützfeiler fortgeschrittener Latinität war, konnte Karl Ditters (1739-1799), dem Kaiser Joseph II. nach der Verleihung des päpstlichen „Ordens vom goldenen Sporn“ das Adelsprädikat „von Dittersdorf“ verlieh, sämtliche Details der Episoden bei seinen gebildeten Hörern – anders als heute – voraussetzen. Dem Württembergischen Kammerorchester gelang eine hörenswerte Einspielung dieser Vorläufer von Beethovens Pastorale.
Der Stoff aus dem die Opern sind
In den Metamorphosen fasst Ovid die komplette antike Mythologie zusammen. Somit verwundert es nicht, dass sich die Operngestalten Daphne, Orpheus, Phaeton, Actéon, Aeneas u.v.a. dort tummeln. Ditters von Dittersdorf komponierte insgesamt 12 Sinfonien für dieses Projekt. Von diesen sind sechs vollständig erhalten, drei liegen in vierhändigen Klavierbearbeitungen vor, könnten somit also eine Aufgabe für den Instrumentationsunterricht bieten. Drei weitere gelten als verschollen. Ob diese hochdramatischen Sujets sich in Form einer Sinfonie mit an Christoph Willibald Gluck, dem wichtigsten Lehrer und Förderer Dittersdorfs, orientierter Melodik wohl umsetzen lassen?
Nehmen wir als Beispiel die Nummer 1 über die Vier Weltalter. Das Goldene Zeitalter wird durch den hier an erste Stelle gerückten langsamen Satz repräsentiert, der das mühelose Leben in einer Art Schlaraffenland schildert. Das normalerweise eröffnende Sonaten-Allegro folgt an zweiter Stelle und schildert das Silberne Zeitalter, das durch den Sturz des Titanen Kronos durch Zeus eingeleitet wird. Hier wäre etwas mehr Dramatik durchaus am Platz gewesen. Fürs Heroische Zeitalter steht ein Menuetto con garbo in der Mollparallele, bei dem unklar ist, ob man die Vortragsbezeichnung mit „anmutig“ oder „würdevoll“ übersetzen soll. Das Eherne Zeitalter erscheint dann, durchaus passend in militärischem Gewand.
Der Nummer 2, in der Phaeton sich als Halbstarker den Sonnenwagen seines Vaters Helios aneignet und durch unkontrollierten Tiefflug die halbe Erde in Brand setzt, würde man in ihren Lyrismen in den beiden ersten Sätzen und dem höfischen Menuett mit diesem dramatischen Sujet wohl kaum in Verbindung bringen. Der Schlusssatz beginnt – den eigentlichen Absturz darstellend – dann in der Moll-Parallele und endet mit einem etwas blassen Andante als Totenklage.
Recht hübsch gibt sich die Nummer 3, in der Actaion die Jagdgöttin Artemis beim Bade mit ihren Nymphen ertappt und zur Strafe in einen Hirsch verwandelt wird, den seine eigenen Jagdhunde dann in Stücke reißen. Hier beginnt Dittersdorf mit einem Jagd-Allegro, stellt im langsamen Satz die badenden Nymphen mit Quellengemurmel in den Violinen und Vogelstimmen der Soloflöte dar. Das Menuett dürfte nur der Konvention eingefügt sein. Gegen Mitte des Finales fletschen dann die Hunde in wilden 32-teln der Bassgruppe ihre Zähne. Allerdings herrscht mit barockisierendem Organistenzwirn in Quintfällen unter Vorhaltsketten auch einiger Leerlauf.
Interessant hingegen der Beginn mit einem „Abend am Meer“ in Form eines Adagios für Solo-Oboe und Streicher der vierten Sinfonie Die Errettung Andromedas. Da die Klage über das Schicksal der Königstochter durch ihre Verwandten eines weiteren langsamen Satzes bedurfte, endet die Sinfonie nach dem Kampf Perseus‘ mit dem Seeungeheuer, dem Andromeda geopfert werden sollte mit einem – bis dahin ausgesparten – Freuden-Menuett über die erfolgreiche Rettung.
In der fünften Sinfonie verwandelt die von Zeus mit den Zwillingen Athene und Apollo geschwängerte Titanin Leto, die deshalb vor dem Vernichtungszorn der Hera fliehen muss, Bauern, die sie nicht aus ihrem Teich trinken lassen wollen in Frösche.
Schließlich setzt die sechste Sinfonie die Perseus-Sage fort, der bei der Hochzeit mit Andromeda von deren Onkel und vormaligen Verlobten, Phineus, mit einer Heerschar angegriffen wird und diese mithilfe des Hauptes der Gorgo in Marmorstatuen verwandelt.
Aus den obigen Ausführungen dürfte bereits klar werden, dass Dittersdorf mit diesen Sujets seine kompositorischen Fähigkeiten maßlos überschätzt hat. Die Werke sind für ihr Entstehungsdatum um 1785 außergewöhnlich konservativ, jede der sogenannten „Sturm und Drang“-Sinfonien Haydns bietet mehr Drama, von den Hamburger Sinfonien C. Ph. E. Bachs gar nicht zu reden.
Schöne Holzbläsersoli
Das beste an den sechs Ovid-Sinfonien sind die langsamen Sätze mit konzertierenden Holzbläsern (Fagott, CD1 Tr. 6; Flöte, CD1Tr. 10; Oboe CD2, Tr. 1), die in den Wiederholungen jedoch durchaus zusätzliche Auszierungen vertragen hätten. Intonatorisch und von der Klangmischung her grenzwertig geraten die Oktavverdoppelungen zwischen Oboe und Fagott im langsamen Satz der Phineus-Sinfonie CD2 Tr. 11). Insgesamt steht die Interpretation des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn aber auf durchaus gutem Niveau, wenngleich der Klang insgesamt etwas bläserlastig ist. Ob die folkloristischen Elemente wirklich so derb herausgeknallt werden sollten, weiß ich nicht.
Aufnahmetechnisch hätte man auf eine bessere Verschmelzung des Ensembles achten können. Der Booklet-Text enthält zwar ausführliche Informationen über den Komponisten, hätte jedoch auf die einzelnen Sätze und den Hintergrund des Ovidschen Epos näher eingehen müssen, da kaum jemand heute noch das große Latinum ablegt, das zu dessen Lektüre unbedingt erforderlich ist.
Fazit: Sechs Sinfonien mit durchaus originellem Umgang mit der Form, aber recht flacher Melodik und mangelnder Stringenz in den Durchführungen der Sonatenhauptsätze und deshalb auf eher kleinmeisterlichem Niveau angesiedelt, die einzeln durchaus amüsant zu hören sind, aber nicht zwingend der Vergessenheit entrissen gehören.
Thomas Baack [03.10.2024]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Carl Ditters von Dittersdorf | ||
1 | Sinfonia Nr. 1 C-Dur (Die vier Weltalter) | 00:18:00 |
5 | Sinfonia Nr. 2 D-Dur (Der Fall Phaetons) | 00:18:19 |
9 | Sinfonia Nr. 3 G-Dur (Die Verwandlung des Aktaon in einen Hirsch) | 00:19:58 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonia Nr. 4 F-Dur (Die Rettung der Andromeda durch Perseus) | 00:24:01 |
5 | Sinfonia Nr. 5 A-Dur (Die Verwandlung der lykischen Bauern in Frösche) | 00:21:23 |
9 | Sinfonia Nr. 6 D-Dur (Die Versteinerung des Phineus und seiner Freunde) | 00:17:13 |
Interpreten der Einspielung
- Karin Geyer (Flöte)
- Jürgen Evers (Oboe)
- Württembergisches Kammerorchester Heilbronn (Orchester)
- Case Scaglione (Dirigent)