1927-1929 • Brücken aus dem Gestern
Orchesterwerke jüdischer Komponisten
Rondeau ROP6233
1 CD • 69min • 2021
19.05.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wenn das vorliegende Album sich auf Orchesterwerke jüdischer Komponisten aus den drei Jahren 1927-1929 konzentriert, liegt dies natürlich nicht nur im Vorabend zum Nationalsozialismus begründet, der drei der vier hier vorgestellten Komponisten ins Exil treiben sollte. Ebenso erstaunt die stilistische Vielfalt dieser Musik, die nur teilweise jüdisch geprägt ist.
Bernhard Sekles‘ Dybuk
Das Leben von Bernhard Sekles (1872‒1934) entfernte sich nie weit von seiner Heimatstadt Frankfurt. Hatte er selbst bereits am Hoch’schen Konservatorium studiert, lehrte er dort ab 1896 und wurde 1924 dessen Direktor. 1928 gründete er die erste Jazzklasse an einer deutschen Hochschule überhaupt, zum Missfallen der Konservativen. Zu seinen Kompositionsschülern gehörten etwa Paul Hindemith, Theodor W. Adorno, aber auch Hans Rosbaud, der das Orchestervorspiel Der Dybuk – eine faszinierende achtminütige Passacaglia – uraufführte. Zwar noch spätromantisch, erinnert das Werk jedoch in seiner verstörend düsteren Expressivität durchaus an die „Golem“-Stummfilme Paul Wegeners.
Ganz aus dem Geist jüdischer Folklore: Juliusz Wolfsohn
Die Musik des Pianisten und Komponisten Juliusz Wolfsohn (1880-1944), der in seiner Geburtsstadt Warschau und in Moskau studierte, steht ganz im Dienst der Pflege jüdischer Tradition. Seine viersätzige Hebräische Suite (1928), zwei Jahre zuvor zunächst als reines Klavierwerk in Wien entstanden, entpuppt sich nun als ausgewachsenes, gut halbstündiges Klavierkonzert und knüpft mit seiner pittoresken Verarbeitung hier jüdischer Volksthemen analog an Stücke wie Liszts Ungarischer Fantasie an. Cora Irsen spielt dies mit Verve und tiefem Einfühlungsvermögen, wird vom Capitol Symphonie Orchester – musikalischer Hausherr der Capitol Classic Lounge in Offenbach am Main – unter Leitung des Dirigenten Roland Böer, seit dieser Spielzeit GMD am Staatstheater Nürnberg, mustergültig begleitet.
Weihnachtliche Klänge von Jaromír Weinberger
Der Komponist des damaligen absoluten Opernhits Schwanda, der Dudelsackpfeifer, Jaromír Weinberger (1896‒1967), schrieb seine Musik für großes Orchester und Orgel „Weihnachten“ 1929 und widmete sie dem Intendanten der Bayerischen Staatsoper. Tatsächlich erkennt man darin die Weihnachtslieder Kommet, ihr Hirten (ursprünglich böhmisch!), Freu dich, Erd- und Sternenzelt sowie Ich will nach Bethlehem. Das Stück folgt dabei einem wesentlich detaillierteren Programm und wurde bis zum deutschen Einmarsch 1939 jedes Jahr im Prager Rundfunk direkt vor der Weihnachtsansprache des tschechischen Staatspräsidenten gespielt – charmant und sofort verständlich.
Szenenmusiken für Stummfilme
Der Königsberger Werner Richard Heymann (1896‒1961) studierte hauptsächlich bei Paul Juon in Berlin, war noch zu Zeiten des Stummfilms als Generalmusikdirekor der UFA-Studios tätig und wurde dann ein Pionier des deutschen Tonfilms, woraus etliche bis heute populäre Schlager hervorgingen: »Ein Freund, ein guter Freund«, »Das gibt’s nur einmal« usw. 1933 emigrierte er in die USA, wo er gleichermaßen erfolgreich für Hollywood komponierte, kehrte jedoch 1952 in die Bundesrepublik zurück. Von den sechs Szenenmusiken für Stummfilme (1927/28) – damals als Versatzstücke zum quasi universellen Einsatz in Filmen ohne eigene Musikpartitur konzipiert – wurden hier lediglich vier eingespielt: Nur weil die beiden übrigen von denselben Interpreten bereits vor fünf Jahren auf einer ausschließlich Heymanns Orchesterwerken gewidmeten CD (s.u.) erschienen sind – Gebrauchsmusik mit Anspruch. Roland Böer und sein Ensemble treffen den recht unterschiedlichen Charakter der einzelnen Komponisten mit diesen Darbietungen präzise. Man merkt den Aufnahmen zudem an, dass dies keine routinemäßigen Studioproduktionen waren, sondern allen Beteiligten offenkundig ein echtes Anliegen. Das Klangbild ist vorzüglich und die vorbildlichen Booklettexte vom künstlerischen Leiter des Orchesters, Ralph Philipp Ziegler, verdienen besondere Erwähnung – eine Veröffentlichung von hohem Repertoirewert.
Siehe auch: Werner Richard Heymann: Das symphonische Werk - Capitol Symphonie Orchester, Roland Böer (Rondeau ROP6191, 2019)
Martin Blaumeiser [19.05.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Bernhard Sekles | ||
1 | Der Dybuk op. 35 (Vorspiel für Orchester) | 00:08:21 |
Juliusz Wolfsohn | ||
2 | Hebrew Suite op. 8 | 00:31:16 |
Jaromír Weinberger | ||
6 | Weihnachten (Musik für Orgel und großes Orchester) | 00:15:10 |
Werner R. Heymann | ||
7 | Szenenmusiken für Stummfilme | 00:13:49 |
Interpreten der Einspielung
- Cora Irsen (Klavier)
- Capitol Symphonie Orchester (Orchester)
- Roland Böer (Dirigent)