Boris Papandopulo
The Complete String Quartets • Guitar Quartet • Clarinet Quartets
cpo 555 469-2
3 CD • 3h 00min • 2017-2022
26.02.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Exakter Zeitgenosse von Dmitri Schostakowitsch, Edmund von Borck, Ulvi Cemal Erkin, Klaus Egge, Paul Creston und Arnold Cooke, ist Boris Papandopulo (1906-91) Kroatiens bedeutendster Klassiker der Moderne. In seinem Schaffen ist eine eigentümliche Verschränkung von volksmusikalischer Verwurzelung und kosmopolitischer Aufgeschlossenheit bemerkenswert, wie dies ja auch bei anderen Nationalkomponisten der klassischen Moderne aus Südosteuropa wie Nikos Skalkottas, Marin Goleminov oder Ahmed Adnan Saygun, wenngleich mit anderen Gewichtungen, typisch ist. Papandopulo darf man mit seinen amalgamierenden Fähigkeiten ähnlich etwa Hilding Rosenberg oder Alexander Tansman als Eklektiker bezeichnen, dies allerdings auf höchstem Niveau.
Phänomenale Ersteinspielung
Dass seine kompletten Werke für und mit Streichquartett und -trio erst jetzt auf Tonträger erscheinen, mag angesichts ihrer Qualität zunächst befremden oder schockieren, aber im Handumdrehen stellt sich heraus, dass dies ein Glücksfall ist, denn das ausführende Sebastian-Quartett aus Zagreb spielt diese Musik phänomenal und ist überhaupt eines der besten Streichquartette unserer Zeit mit einem Spektrum an positiven Eigenschaften, an welches schon seit vielen Jahren keines der prominenten deutschen Quartette heranreicht: Es seien nur die zugleich flexible und dichte, jeden Klang aushorchende und ausgestaltende Tongebung, die swingende, groovende rhythmische Lebendigkeit und Natürlichkeit, die natürlich atmende Phrasierung und weitestgehende Transparenz der teils vertrackten Polyphonie, sowieso die stupend reine Intonation und makellose rhythmische Feinabstimmung auch in sehr komplex sich überlagernden Zusammenhängen, der erlesene Geschmack – der sich z. B. im feinen Gebrauch des sensiblen, niemals aufdringlichen Vibratos, und im meist weitschauend artikulierten Rubatogebrauch kundtut – und ganz generell die gemeinsame Liebe zu jedem Moment der Musik, getragen von vier Musikern, die sich in jeder Hinsicht auf Augenhöhe begegnen, erwähnt. Auch wenn ich eigentlich keinen der vier besonders hervorheben möchte, sei doch erwähnt, dass Andelko Krpan ein Primarius von durchgehend ganz außergewöhnlicher Klasse ist.
Der Weg zum Reifestil
Vorausgreifend sei erwähnt, dass nicht sämtliche Quartette Papadopulos eingespielt wurden, da sowohl die Partitur als zwei Stimmen des 1950 komponierten Vierten Quartetts verschollen sind. In Anbetracht der Klasse der umgebenden Kompositionen kann man nur hoffen, dass die Noten baldmöglichst irgendwo wiederentdeckt werden.
Im ersten Quartett, das noch ein Studienwerk ist, entstanden 1924 im frühesten Erwachsenenalter und 1927 abschließend revidiert, ist schon viel von Papadopulos Eigenart zu erkennen, doch noch agiert er relativ schematisch und weitschweifig im Aufbau, und mit unüberhörbar plakativen motivischen Redundanzen, die man sicher auch positiv als ‚Minimalismus‘ verorten kann. Doch bereits das 1930-31 komponierte Zweite Quartett bekundet einen bedeutsamen Schritt hin zu Kompaktheit, Ökonomie der Mittel und Eleganz und Finesse der Verwebung der thematischen Ideen. Papandopulo liebte die modale Melodik und Harmonik des Balkan und des Orient, vor allem die introvertierten Modi mit ihren Abwärtsleittönen und ganztönigen Umspielungen der tonalen Zentren. Aber auch die nüchtern-skulpturhafte Klassizität im Gefolge Strawinskys, den er schon sehr früh kennenlernte, spielt eine tragende, das sanglich Lyrische sachlich konterkarierende Rolle.
Das monumentale Klarinettenquintett von 1940, das hier erstmals ohne die ca. 500 Takte umfassenden Kürzungen, die auch die bisherigen Druckausgaben prägen, in voller Länge eingespielt wurde, ist ein Werk von geradezu romantisch anmutender Leidenschaft mit katastrophischem Unterton. Es ist ein fesselndes Dokument evokativ schweifender tondichterischer Fantasie und sei allen Formationen unbedingt ans Herz gelegt. Der Klarinettist Davorin Brosic ist ein empathischer Partner, der sich nicht in den Vordergrund spielt.
Papandopulo liebte die aus ungleichen Pulseinheiten zusammengesetzten, widerhakigen balkanischen Metren wie den 7/8-Takt, die im Türkischen Aksak-Rhythmen (die ‚Hinkenden‘) heißen, und meistens belässt er es nicht bei einem widerborstigen Metrum, sondern changiert auf virtuose Weise zwischen verschiedenen Metren, was die Musiker in ihrem ‚musikantischen Geist‘ herausfordert und in diesen Aufnahmen meist bravourös umgesetzt wird. Auch ist die polyphone Meisterschaft Papandopulos sehr imposant und verleiht der Musik kraftvolles Momentum.
Konzentration des Spätwerks
Ein Riesenschritt in eine andere, wesentlich verdichtete Klang- und Ausdruckswelt ist dokumentiert im 1970 komponierten Fünften Streichquartett, in welchem Papandopulo auch freie Zwölftönigkeit verwendet. Es bleibt dabei immer kompliziert tonal, denn die lebendigen Tonbeziehungen werden eben nicht schematisch nivelliert, doch nun hält eine ganz andere dissonante Schroffheit, und Abruptheit der oft den Atem geradezu zum Stocken bringenden Wendungen im Aufbau Einzug. Bizarr gezackte Linien und schwerelos improvisatorische Kurven bilden den höchst reizvollen Kontrast, aus welchem die neue expressive Qualität erwächst, die an die besten Nachfolger Bartóks, vielleicht auch an Lutoslawski in seinen stärksten Momenten erinnern mag.
Das Sechste Quartett ist 1983 entstanden und erscheint mir – darin vergleichbar dem Sechsten Quartett Bartóks – als reifes Meisterwerk der finalen Synthese. Auf jeden Fall gehört Papadopulo in seinen zwei letzten Quartetten zu den bedeutendsten Quartettkomponisten der gesamten Epoche. Zwischen diesen beiden Werken entstanden 1977 eine collageartig kontrastierende Vertonung der ‚Internationalen‘ im fortwährend Montage-haften Wechsel mit verwegenen 7/8-Einschnitten für Streichquartett in einem Satz (»Ein Lied des Friedens und der Freiheit erschallte«) und 1981 das sehr reizvolle, aparte Quartett für Gitarre und Streichtrio, welches den ganzen Papandopulo-Stil in konzentrierter Form offeriert, vom dramatischen Kontrast zwischen Balladenhaftem und Konfrontativem über introspektiven Lyrismus von improvisatorischer Traumesweite bis hin zum unmittelbar ansteckenden tänzerischen Impetus, in mehr und mehr unverkennbar persönlicher Manier. Sehr präsent und kultiviert fügt sich Gitarrist Kresimir Bedek ins locker verzahnte Gewebe ein, lediglich zu Beginn verstehe ich nicht so recht, inwiefern sein Rubato bewusst gewählt sein könnte.
Sehr eingehende Betrachtungen zu den einzelnen Werken liefert der kenntnisreiche, mit dem Gesamtschaffen Papandopulos vertraute Begleittext von Davor Merkaš.
Christoph Schlüren [26.02.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Boris Papandopulo | ||
1 | Streichquartett Nr. 1 op. 7 | 00:24:50 |
4 | Streichquartett Nr. 3 op. 126 (Folk) | 00:20:30 |
8 | Streichquartett Nr. 5 | 00:22:02 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Streichquartett Nr. 2 op. 20 | 00:31:57 |
5 | Streichquartett Nr. 6 | 00:20:40 |
9 | Song of Peace and Freedaom sounded out | 00:06:26 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Quintett op. 90 für Klarinette und Streichquartett | 00:37:45 |
5 | Quartett für Gitarre und Streichtrio | 00:15:20 |
Interpreten der Einspielung
- Davorin Brozić (Klarinette)
- Krešimir Bedek (Gitarre)
- Sebastian Quartet (Streichquartett)