Johann Christoph Friedrich Bach
Works for Keyboard solo
Prospero Classical PROSP0074
1 CD • 80min • 2022
30.11.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
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Klassik Heute
Empfehlung
Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795) war der zweitjüngste der vier komponierenden Söhne von Johann Sebastian Bach. 1750 trat er als „Hochgräflich Schaumburg-Lippischer Cammer-Musicus“ in den Dienst von Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe (1724-1777). Dieser hatte sich nach seinem Regierungsantritt 1748 dem Appetit seines Nachbarn, des Landgrafen von Hessen-Kassel, auf seine kleine Grafschaft ausgesetzt gesehen – die landgräfliche Durchlaucht hoffte sein Gebiet durch Annexion des Nachbarn zu erweitern. Wilhelm war entschlossen, die Unabhängigkeit seines kleinen Staates zu bewahren – zu diesem Zweck hatte er sich in Preußen zu einem tüchtigen Militär schulen lassen. Gleichzeitig war er von der Musikpflege am Hof Friedrichs des Großen begeistert gewesen, und nach dem Engagement Christoph Friedrichs war er erfreut, seine Hofmusik mit einem eigenen Bach schmücken zu können: So wurde aus Johann Christoph Friedrich der „Bückeburger Bach“, ganz wie sein älterer Halbbruder Carl Philipp Emanuel der „Berliner Bach“, schließlich „Hamburger Bach“ war, und der jüngere Bruder Johann Christian zum „Mailänder“ und später „Londoner Bach“ wurde.
Lebensstellung in der Provinz
Johann Christoph Friedrich Bach hielt seinem Fürsten die Treue und blieb sein ganzes Berufsleben am Bückeburger Hof. Mit 18 Jahren war er Mitglied des dortigen Ensembles geworden, 1759 stieg er zum Konzertmeister der Hofmusik auf und war in dieser Stellung bis zu seinem Lebensende 1795 tätig. In den Beschreibungen der Bach-Söhne wurde der „Bückeburger Bach“ bisher gern als provinzieller Widerpart seiner drei anderen komponierenden Brüder behandelt.
Deutsche kulturelle Vielfalt
Seit kurzem erst reift die Erkenntnis heran, dass diese Einschätzung fehlgeht – sowohl in Hinsicht auf den Komponisten Johann Christoph Friedrich Bach, wie auch in der Beurteilung des Kulturlebens der kleinen deutschen Fürstenhöfe: In der Zersplitterung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lag vielleicht der Kern der Bedeutungslosigkeit, in die das alte, im Mittelalter begründete westeuropäische Kaisertum seit dem Ende des 30-jährigen Krieges im Konzert der europäischen Mächte verfiel und dabei das Opfer von Machtinteressen einer erwachenden Politik europäischer Nationalstaaten wurde. Kulturell jedoch bedeutete die Vielfalt auf deutschem Boden einen Reichtum, von dem Deutschland heute noch zehrt.
Johann Christoph Friedrich Bach musste für eine europäische musikalische Prägung, die über jene der väterlichen Ausbildung hinausging, nicht weit reisen, seine einzige größere Reise führte ihn 1778 nach Hamburg und London zu seinen Brüdern Carl Philipp Emanuel und Johann Christian. Doch traf er bereits in Bückeburg auf Kollegen wie die Italiener Giovanni Battista Serini, der die Hofkapelle leitete, und Angelo Colonna als Hofkomponisten – beide konnten ihren jungen Kollegen in die Aspekte der modernen italienischen Musik einführen. So wurden die italienischen Kollegen und sein Bruder Carl Philipp Emanuel zu Vorbildern seines umfänglichen Schaffens, in dem lediglich Beiträge zur Oper fehlen.
In Vergessenheit geraten
Im 19. Jahrhundert und der ihm verpflichteten Musikbetrachtung wurde der musikalischen Lebensleistung Johann Christoph Friedrich Bachs allerdings keine Aufmerksamkeit zuteil: Von den Bach-Söhnen hatte man Wilhelm Friedemann für die Exzentrität, Carl Philipp Emanuel für die Stilbildung und Johann Christian für’s Galante – für Johann Christoph Friedrich blieb nur noch ein Plätzchen in den hinteren Reihen der vorschnell und abschätzig als „Kleinmeister“ abgeurteilten Komponisten seiner Epoche übrig.
Farbiges Kaleidoskop
Die Entdeckung der Musik des zweitjüngsten Bach-Sohnes und seines Wirkens in der retrospektiv empfundenen Abgeschiedenheit des Bückeburger Hofs enthüllt heutigen Zuhörern, die im letzten halben Jahrhundert der historisch informierten Musizierpraxis mit Entdeckungen nahezu überfüttert worden sind, ein ungeheuer farbiges Detail im Kaleidoskop der deutschen Musiklandschaft des 18. Jahrhunderts. Dabei ist die Diskografie Johann Christoph Friedrich Bachs im Vergleich zu jener seiner Brüder Carl Philipp und Johann Christian bisher schmal geblieben.
Eigenständiges Klavierwerk
Sein ältester Halbbruder Wilhelm Friedemann (der „Hallenser Bach“) hatte ihn als „stärksten Spieler“, der „seines Vaters Claviercompositionen am fertigsten vorgetragen“ habe, charakterisiert, doch war es, aus den oben beschriebenen Gründen, erst der Entdeckerlust des in Basel lebenden Fortepianisten Jermaine Sprosse vorbehalten, die Klaviermusik des „Bückeburger“ Bachs von neuem zu entdecken und mit der vorliegenden CD in einem breiten Spektrum zu präsentieren: vier Sonaten, ein Variationswerk (bemerkenswerterweise über das seinerzeit populäre Lied „Ah vous dirai-je, maman“, das ja auch Mozart zu Variationen angeregt hat) und etliche Einzelstücke, darunter die einzig überlieferte Fuge Johann Christoph Friedrich Bachs.
Improvisation
„Vielfarbig, affektreich, stilistisch offen und vor allen Dingen sehr improvisationseinladend für den Spieler", nennt Jermaine Sprosse die Musik des dritten Bach-Sohnes, der er sich hier nicht allein als Interpret präsentiert, sondern auch als Improvisator. Zu Zeiten des Komponisten und weit bis ins 19. Jahrhundert war die Improvisation integraler Bestandteil der Solistenkonzerte von Klaviervirtuosen: Dank Sprosses Fantasie und mit seinem untrüglichen Stilgefühl erhält die Fuge ein Vorspiel in Form einer Fantasie.
Beglückende Einheit zwischen Musik, Interpret und Instrument
Für sein Porträt von Johann Christoph Friedrich Bach, dessen Kompositionen für Clavier Jermaine Sprosse als „Werke von großer emotionaler Tiefe, aber auch voller Witz, Ironie und beinahe verspielter Kindlichkeit“ bezeichnet, stand dem Solisten ein bemerkenswertes Fortepiano zur Verfügung: Erbaut 1805 vom Wiener Klavierbauer Johann Haselmann ist das Instrument heute in der renommierten italienischen Sammlung von Romeo Ciuffa beheimatet. Unter den Händen von Jermaine Sprosse enthüllt dieses wunderbare Fortepiano seine gesamte Klangfülle, sodass die Zuhörer einem vortrefflichen Porträt des Bückeburger Bachs als überaus eigenständigen Komponisten seiner Zeit in perfekter Präsentation lauschen können.
Makelloser Klang
Das Klangbild bietet den Zuhörern einen einwandfreien Nachvollzug der Einspielung, indem es unnötigen Hall vermeidet und einen ebenso unverfälschten wie genussvollen Nachvollzug der klanglichen Nuancen des herrlichen Instruments sowie der vorzüglichen Darstellung durch den Solisten ermöglicht.
Detmar Huchting [30.11.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Christoph Friedrich Bach | ||
1 | Sonate Nr. 2 A-Dur BR A 14 (aus: Drei leichte Sonaten fürs Klavier oder Piano Forte) | 00:15:08 |
Jermaine Sprosse | ||
4 | Fantasie F-Dur (J.C.F. Bachs Empfindungen) | 00:02:44 |
Johann Christoph Friedrich Bach | ||
5 | Fuge F-Dur BR A inc. 5 | 00:01:42 |
6 | Sonate Nr. 3 F-Dur BR A 18 (Sonata per il Cembalo Solo o vero Piano Forte) | 00:11:38 |
9 | Sonate Nr. 1 C-Dur BR A 3 (aus: Sechs leichte Sonaten füs Clavier oder Pianoforte) | 00:12:03 |
12 | Sonatina a-Moll BR A 12/1 (aus: Musikalische Nebenstunden IV) | 00:05:38 |
13 | Solfeggio D-Dur BR A 108 (aus: Musikalische Nebenstunden IV) | 00:01:01 |
14 | Sonate Nr. 1 D-Dur BR A 13 (aus: Drei leichte Sonaten füs Clavier oder Pianoforte) | 00:14:54 |
17 | Polonaise G-Dur BR A 109 (aus: Musikalische Nebenstunden I) | 00:01:43 |
18 | Angloise G-Dur BR A 67 (aus: Musikalische Nebenstunden IV) | 00:01:23 |
19 | Allegretto con XVIII Variazioni über Ah, vous dirai-je Maman G-Dur BR A 45 | 00:10:38 |
Interpreten der Einspielung
- Jermaine Sprosse (Fortepiano)