Jacques Offenbach
Le Violoneux • Le 66
cpo 555 585-2
2 CD • 85min • 2022
30.10.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Eröffnung des Théâtre des Bouffes-Parisiens im Jahr der Pariser Weltausstellung 1855 war ein musikhistorisch bedeutsames Ereignis. Denn es war die eigentliche Geburtsstunde der Operette. Jacques Offenbach dirigierte hier vor einem begeisterten internationalen Publikum seinen Einakter Le Violoneux, der nicht viel länger als eine halbe Stunde dauert. Im Jahr darauf setzte sich der Erfolg mit Le 66 fort. Schon in diesen frühen Beiträgen zu einer neuen Gattung hatte Offenbach seinen unverkennbaren Stil gefunden, wie jetzt eine Studio-Einspielung aus seiner Geburtsstadt Köln belegt.
Abenteuerliche Libretti
In beiden Einaktern geht es um Geld und um Liebe. In Le Violoneux wird der alte Dorfmusikant Mathieu von seinem Patenkind Reinette gebeten, 2000 Francs aufzutreiben, um ihren Verlobten Pierre vom drohenden Militärdienst freizukaufen. Mathieu spielt auf einem geheimnisvollen Instrument, das er von seinem Vater geerbt hat, mit der Anweisung, er solle es zerschlagen, wenn er sich einmal in Not befände. Diese Arbeit nimmt ihm nun Pierre ab und siehe da, in den Trümmern findet sich ein Dokument, das Mathieu als den Erben des örtlichen Schlosses ausweist. Ein Happy End, das alle drei zufriedenstellt. In Le 66 glaubt der in Begleitung seiner Cousine Grittly „fahrende Salontiroler“ Frantz das große Los gezogen zu haben, das ihm 100 000 Gulden verspricht. Er kleidet sich daraufhin fürstlich ein, um dann feststellen zu müssen, dass seine Losnummer „99“ lautet und nicht „66“. Als Deus ex machina fungiert ein wunderlicher Wanderer, der in Wahrheit ein reicher Mann ist und Frantz die Lektion erteilen wollte, dass nicht Geld, sondern Glück in der Liebe der wahre Hauptgewinn im Leben sei.
Starke musikalische Wirkungen
Aus diesen in beiden Fällen dramaturgisch nichtigen Anlässen weiß Offenbach erstaunliche musikalische Funken zu schlagen, wobei er als Kunstmittel ein künstliches Lokalkolorit einsetzt. Im Falle der „légende bretonne“ Le Violoneux imitiert er bäuerliche Tanzrhythmen aus der Bretagne, in Le 66 greift er mit Tiroler Jodlern richtig in die Vollen. In beiden Fällen handelt es sich aber nicht um authentische Volksmusik, sondern – wie Ralf-Olivier Schwarz in Booklet-Text einleuchtend darlegt – um eine Variante des musikalischen Exotismus, der im französischen Musiktheater dieser Zeit Konjunktur hatte. Der komödiantischen Wirkung der Operetten tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Die musikalisch mitreißendsten Nummern sind die Ensembles, in denen sich Sopran, Tenor und Bariton mal der parodierten Militärmusik hingeben (Reinette malt sich in Le Violoneux eine Zukunft als Marketenderin aus), mal in einen wilden Jodelwettstreit ausbrechen (Le 66). Doch auch die Couplets sind in beiden Stückchen Offenbach vom Feinsten und lassen die mit Orphée aux enfer (1858) einsetzende Erfolgsserie der abendfüllenden Operetten schon ahnen.
Das Idiom gut getroffen
Eine szenische Realisierung erscheint mir aufgrund der recht abenteuerlich konstruierten Libretti nicht einfach, vielleicht nicht einmal wünschenswert zu sein. In musikalischer Hinsicht allerdings machen beide Einakter ein uneingeschränktes Vergnügen. Jedenfalls wenn sie so lebendig und spritzig gespielt werden wie in dieser Aufnahme. Die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens hat schon vor ein paar Jahren mit dem Doppel Pomme d’Api – Sur un vulcan ihre hohe Offenbach-Kompetenz unter Beweis gestellt. Die Qualitäten, die ich damals dem Spiel der Musiker und der Sänger zugesprochen habe (instrumentale Akkuratesse, rhythmische Klarheit und lockerer Spielwitz), finden sich auch in dieser Produktion ohne Abstriche. Die relativ jungen Sänger bringen neben attraktivem stimmlichem Material auch genügend Erfahrung im Offenbach-Repertoire mit und glänzen nicht nur gesanglich, sondern auch in den temperamentvollen Dialogen. Die Sopranistin Sandrine Buendia entwickelt in beiden Stücken Charme und leichtfüßigen Witz, der Tenor Pierre-Antoine Chaumien verbindet buffoneske und lyrische Eigenschaften und der auch im italienischen Fach erfolgreiche Argentinier Armando Noguera kann, wo es möglich ist, baritonal auftrumpfen.
Leider enthält das Booklet keine Libretti. Zwar gibt es Links zur französischen wikisource, aber an eine englische oder gar deutsche Übersetzung ist nicht zu denken. Das ist angesichts des großen Dialog-Anteils sehr zu bedauern und schränkt den Kreis der Interessenten zweifellos ein.
Ekkehard Pluta [30.10.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Jacques Offenbach | ||
1 | Le Violoneux (Operette in einem Akt) | 00:34:24 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Le 66 (Operette in einem Akt) | 00:50:56 |
Interpreten der Einspielung
- Sandrine Buendia (Reinette - Sopran, Grittly - Sopran)
- Pierre-Antoine Chaumien (Pierre - Tenor, Frantz - Tenor)
- Armando Noguera (Le Père Mathieu - Bariton, Berthold - Bariton)
- Die Kölner Akademie (Ensemble)
- Michael Alexander Willens (Dirigent)