Valentin Silvestrov
Silent Songs

Kaleidos KAL 6364-2
1 CD • 65min • 2023
24.10.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In den 60er Jahren war Valentin Silvestrov, 1937 in Kiew geboren, ein führender Vertreter der musikalischen Avantgarde in der Ukraine und damit auch ein Verfechter der Zwölftonmusik. Gegen Mitte der 70er Jahre erfolgte sein grundlegender Wandel in Richtung eines retrospektiven Stils, den man als „neoromantisch“ bezeichnen könnte. Sein Zyklus Stille Lieder, in den Jahren 1974-77 entstanden und von ihm selbst als „vertontes Schweigen“ beschrieben, legt davon Zeugnis ab. „Zur Avantgarde gehört auch die Fähigkeit, sich von ihr loszusagen“, war seine lapidare Erklärung für den Kurswechsel. Wegen seiner strukturellen Anlage und seiner romantischen Weltbetrachtung wurde der aus 24 Liedern bestehende Zyklus oft mit Schuberts Winterreise verglichen.
Überwiegend russische Dichter
Allerdings lieferten hier anders als dort mehrere Dichter die literarischen Vorlagen, mit wenigen Ausnahmen alles Russen: Größen der Weltliteratur wie Alexander Puschkin und Michail Lermontow, aber auch bei uns weniger bekannte Autoren wie Wassili Schukowski (1783-1852), Jewgeni Baratynski (1800-1844), Sergej Jessenin (1895-1925) und der in einem sowjetischen Lager umgekommene Ossip Mandelstam (1891-1938). Taras Schewtschenko (1814-1861), der „Vater“ der modernen ukrainischen Literatur, besingt in „Welt, leb wohl“ den Abschied eines Exilanten aus der Heimat – ein Schicksal, das der greise Komponist im Zuge des aktuellen Krieges mit ihm teilt.
Musik als Dienerin der Dichtung
Melancholie bestimmt das Programm, aber für wirkliche Tristesse ist kein Platz. Baratinskys einleitendes Gedicht gibt die Richtung vor: „Den kranken Geist heilt der Balsam des Gesangs“. Bemerkenswert ist die Haltung, die Silvestrov zu den vertonten Gedichten einnimmt: „Ich habe die Gedichte gelesen, und aus den Versen flossen die Melodien heraus, die sich mit den Worten verbanden“. Eine Art „unio mystica“ wird da beschworen: der Komponist wartet, „dass das Gedicht sich selbst singt“, er ist nicht mehr Schöpfer, sondern von einem höheren Genius erleuchteter Mittler. Die musikalischen Ergebnisse dieser Vereinigung bleiben naturgemäß eklektisch, sind einer einfach dahinströmenden Melodik verpflichtet. Im Booklet findet Arndt Zinkant dafür den zutreffenden Vergleich mit einem Restaurator, „der den Meistern der Vergangenheit nachlauscht“. Wie die Musik sich hier den Dichtungen unterordnet, so ordnet sich das Klavier der Singstimme unter, horcht aber in längeren Nachspielen den verklungenen Worten nach.
Adäquate Umsetzung
Ursprünglich hat Silvestrov diese Lieder für eine Baritonstimme geschrieben. Hier werden sie (in einer Auswahl von 15 Titeln) – laut Booklet: erstmals – von einer Frauenstimme interpretiert. Die als Sopran deklarierte Sängerin Elene Gvritishvili, in der Alten wie in der Zeitgenössischen Musik gleichermaßen zuhause, erscheint hier von der Stimmfarbe und der Tessitura her als eindeutiger Mezzosopran, was der Freude an ihrem warmen und sonoren Klang und ihrem emotionalen, aber nie sentimentalen Vortrag keinen Abbruch tut. Der Pianist Alexey Pudinov unterstützt sie in gleichem Geiste, immer der Stille und Kontemplation verpflichtet, die der Titel des Zyklus verspricht.
Ekkehard Pluta [24.10.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Valentin Silvestrov | ||
1 | Song Can Tend the Ailing Spirit | 00:03:28 |
2 | O Melancholy Time! | 00:03:27 |
3 | Farewell, O World, O Earth | 00:04:30 |
4 | Winter Journey | 00:05:53 |
5 | The Isle | 00:04:29 |
6 | Something Unspoken, Blue and Tender | 00:05:27 |
7 | Autumn Song | 00:04:55 |
8 | Swamps and Marshes | 00:05:10 |
9 | Winter Evening | 00:04:47 |
10 | When the Yellowing Cornfield Stirs | 00:04:28 |
11 | I Set Out on the Road Alone | 00:05:18 |
12 | Mountain Summits | 00:03:44 |
13 | Elegy, Verses Composed During a Time of Insommnia | 00:03:13 |
14 | Ode. And Schubert in Water, and Mozart in Birdsongs | 00:03:35 |
15 | Postlude. Recollection | 00:02:52 |
Interpreten der Einspielung
- Elene Gvritishvili (Sopran)
- Alexey Pudinov (Klavier)