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Besprechung CD

fantasy

Georg Philipp Telemann, 12 Fantasias

pre-art music PAM 005

1 CD • 71min • 2022

09.07.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Georg Philipp Telemanns 12 Fantasien TWV 40:2-13 sind das tägliche Brot fortgeschrittener Böhm-, Travers- und Blockflötisten. Jedoch haben es bisher nur wenige Oboisten gewagt, die Werke einzuspielen, da sie für dieses Instrument unangenehm hoch liegen. Wenn sie es aber so gekonnt machen und dazu einen derart tiefschürfenden, umfangreichen Booklet-Text verfassen, dass für die Präsentation ein Taschenpartitur-Format benötigt wird, kann man Matthias Arter nur höchstes Lob zollen.

Hanseatischer Stylus phantasticus

Georg Philipp Telemann schrieb in den Jahren um 1730 insgesamt 72 Fantasien. Diese wurden so gestochen, dass sie auf ein Blatt passten und im zweiwöchentlichen Abstand an die Subskribenten verschickt werden konnten. Jeweils ein Dutzend entstand für die Flöte, die Violine und die damals aus der Mode kommende Viola da Gamba. Drei Dutzend, die übrigens eine ideale Ergänzung zu den zweistimmigen Inventionen J. S. Bachs darstellen, waren für die Tastenspieler bestimmt. Telemanns freundlich-zugewandte Wesensart zeigt sich besonders darin, dass die immer tänzerischen Schlusssätze grundsätzlich einfacher gehalten sind als das durchaus anspruchsvolle Vorangegangene. Die Anfänge der Fantasien zeichnen sich durch große Mannigfaltigkeit aus. Wir finden Präludien und Fugen, – ja, das geht mit Zerlegungen auch einstimmig – eine französische Ouvertüre, Konzertsätze, eine Chaconne, Lamenti, eine Corrente. Die tänzerischen Finalsätze bieten Gigue, Polonaise, Bourrée, Menuett und Tambourin.

Ideensprühende Interpretation

Ich gebe gern zu, dass ich mich an das Klanggewand einer Oboe in moderner Stimmung mit leichtem Rohrblatt und – wenn man nach dem Porträtfoto des Interpreten geht – wohl Wiener Bauweise bei den wohlbekannten Stücken erst einhören musste, da man diesen gelegentlich spitzen Obertonreichtum von Block- und Traversflöten in tiefer Stimmung von 415 oder gar 392 Hz nicht kennt. Barockoboisten hätten die Stücke allein aus grifftechnischen Gründen – Grundskala ist C-Dur, bei Traversen D-Dur – möglicherweise einen Ganzton nach unten transponiert. Danach war ich von der Virtuosität Matthias Arters nur noch fasziniert. Dieser geht mit den Werken sehr frei um, kann diese Freiheiten jedoch plausibel begründen. Das beginnt mit einem wahren Furor an Verzierungen, die über die Empfehlungen, die Telemann selbst in seinen Methodischen Sonaten gab, hinausgehen, manchmal – besonders bei Hochoktavierungen in die dritte Oktave – ein wenig an den Paganini der Oboe, Antonino Pasculli, erinnern, aber in jedem Moment spannend und schlüssig sind.

Zudem erweitert er diejenigen Fantasien, in denen zwei schnelle Sätze nur durch einen vermittels weniger Töne angedeuteten langsamen Abschnitt getrennt werden, durch Improvisationen und im Falle der Nummer 11 um eine Übertragung der Sarabande aus der siebten Fantasie für Solo-Violine. Die „alla francese“ anhebende Fantasie Nummer 7 erhält sogar zwei Ergänzungen, um zur vollständigen Suite zu werden. Diese wurden der Kleinen Kammermusik Telemanns entnommen. Auf welch spritzig-geniale Idee ihn der abschließende Tambourin dieser Fantasie brachte, sei hier nicht verraten. Das muss man auf Track 7 selbst hören! Einziger Kritikpunkt meinerseits: Auch Arter schafft es nicht, dass der Beginn der die achte Fantasie abschließenden Polonaise wie ein synkopierter Dreivierteltakt klingt. Stattdessen hört man die mittlerweile notorisch gewordenen 6/8 mit Auftakt. Hier hätte eine Bindung der Synkope Wunder gewirkt.

Das Booklet ist mit einem 17-seitigen Essay zu den Werken der wahre Luxus. Die ausführlichen Analysen zeugen von langer Beschäftigung mit und tiefem Eindringen in die Werke. Die vermeintliche Fuge des Allegro der 5. Fantasie ist allerdings keine, sondern eine Chaconne über die mit Keilen versehenen Töne. Die Bezüge zum Messordinarium erschließen sich mir allerdings nur bedingt. Die Aufnahmetechnik bewegt sich auf dem hohen Niveau der Interpretation.

Fazit: Pflichtkauf für alle, die diese Werke selbst musizieren, um sich Anregungen für eigenes improvisatorisches Gestalten zu holen. Dabei ist nicht alles zu 100% übernahmefähig. Blockflötisten könnte dann nämlich die Frage seitens des Lehrers gestellt werden, ob in der letzten Woche wieder viel Ernst Krähmer aus dem Schubert-Kreis auf dem Czakan ausprobiert worden ist. Pflichtkauf ebenfalls für Oboisten, wegen Matthias Arters stupender Virtuosität. Dem breiteren Interessentenkreis sei mitgeteilt, dass diese Aufnahme einfach Spaß macht. Volle Punktzahl! Klare Empfehlung!

Thomas Baack [09.07.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Georg Philipp Telemann
1Fantasie Nr. 1 A-Dur TWV 40:2 für Flöte solo 00:03:43
2Fantasia Nr. 2 a-Moll TWV 40:3 für Flöte solo 00:05:36
3Fantasia Nr. 3 h-Moll TWV 40:4 für Flöte solo 00:04:25
4Fantasia Nr. 4 B-Dur TWV 40:5 für Flöte solo 00:05:55
5Fantasia Nr. 5 C-Dur TWV 40:6 für Flöte solo 00:04:17
6Fantasia Nr. 6 d-Moll TWV 40:7 für Flöte solo 00:06:06
7Fantasia Nr. 7 D-Dur TWV 40:8 für Flöte solo 00:09:36
8Fantasia Nr. 8 e-Moll TWV 40:9 für Flöte solo 00:05:14
9Fantasia Nr. 9 E-Dur TWV 40:10 für Flöte solo 00:06:26
10Fantasia Nr. 10 fis-Moll TWV 40:11 für Flöte solo 00:06:39
11Fantasia Nr. 11 G-Dur TWV 40:12 für Flöte solo 00:06:28
12Fantasia Nr. 12 g-Moll TWV 40:13 für Flöte solo 00:06:18

Interpreten der Einspielung

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