Early 20th Century Music
sonic.art
MDG 603 2266-2
1 CD • 77min • 2022
28.03.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Bei Musik für Saxophonquartett aus dem frühen oder wenigstens der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts denkt man wohl erst einmal an Alexander Glasunows Quartett, entstanden 1932, und tatsächlich handelt es sich dabei um eines der ersten signifikanten Werke für diese Besetzung. Wenn sich das sonic.art Saxophonquartett also auf der vorliegenden CD ausdrücklich mit Musik des frühen 20. Jahrhunderts befasst – alle hier versammelten Werke entstanden zwischen 1914 und 1934 –, dann handelt es sich dabei mehr oder weniger zwangsläufig um Bearbeitungen, hier aus der Feder von Annegret Tully (der Baritonsaxophonistin des Quartetts), Steffen Schleiermacher und Christoph Enzel. Dabei hat das Ensemble ein bemerkenswert buntes Programm zusammengestellt von locker gefügten, suitenhaften Werken, oft geprägt von Tanzmusikreferenzen.
Expressive Polyphonie und neoklassizistische Sachlichkeit
So beginnt das Album mit Musik von Max Butting (1888–1976), in den 1920er Jahren ein recht prominenter Exponent moderner Musik in Deutschland und später der große alte Mann der Musikszene der frühen DDR. Seine Heitere Musik op. 38, auch als Zweite Rundfunkmusik bezeichnet, ist ein Werk, das der Komponist speziell für das sich 1929 noch in den Kinderschuhen befindliche Radio schrieb. Im Original trägt Butting dessen damaligen klanglichen Limitationen, die er genauestens studiert hatte, auf raffinierte Weise Rechnung, und natürlich gehen diese Spezifika speziell der Orchestrierung in der Bearbeitung für Saxophonquartett notwendigerweise verloren. Dabei spielt auch im Original das Saxophon eine wichtige Rolle, das Butting hier wie in vielen seiner größer angelegten Orchesterwerke gerne im Sinne eines ganz speziellen Misteriosos einsetzt (das Attribut „heiter“ sollte übrigens nicht als karnevalesk-übermütig missverstanden werden). Die typischen Merkmale von Buttings Musik, ihre Stellung zwischen expressiver Polyphonie und neoklassizistischer Sachlichkeit, kommen jedenfalls auch in der Bearbeitung sehr gut zur Geltung, und so darf man diese Einspielung als sehr erfreuliches Plädoyer für einen bedauerlicherweise nach wie vor wenig beachteten Komponisten verstehen, der tatsächlich u.a. einer der vorzüglichsten deutschen Sinfoniker seiner Generation war.
Kommunikative Kraft, Maschinenmusik, Folklore und Romantik
Sinnigerweise setzt sich das Programm mit einer Suite aus Filmmusiken von Hanns Eisler (1898–1962) fort, von ihm selbst in Teilen seiner Orchestersuiten Nr. 2 bis 4 wiederverwendet. Zwar wird die charakteristische Schärfe und rhetorische Prägnanz von Eislers Musik durch das Saxophonquartett ein gutes Stück abgemildert, nicht aber ihre zündende Melodik und kommunikative Kraft (am Rande sei erwähnt, dass die Sätze 3, 4 und der Beginn von Nr. 5 vielleicht eine Spur zu ähnlich in Ausdruck und Atmosphäre erscheinen, um sie direkt aufeinander folgen zu lassen). Ausgezeichnet funktioniert das Arrangement von Schostakowitschs Jazz-Suite Nr. 1, überraschend gut auch die Bearbeitung von Alexander Mossolows (1900–1973) Drei kleinen Klavierstücken op. 23a, dessen zweites die stampfende Maschinenmusik seiner Eisengießerei in Erinnerung ruft, was die Saxophone trefflich zur Geltung bringen. Die direkte Orientierung am Volkslied machen auch Bartóks Rumänische Weihnachtslieder zu einer dankbaren Vorlage, wobei das Quartett (oder die Quartettversion) hier nicht das völlig selbstverständliche Rubato, die quasi-improvisatorische Freiheit etwa eines Zoltán Kocsis erreicht. Bei all diesen für ihre Zeit eher avancierten Werken ist es sehr begrüßenswert, dass das sonic.art Quartett auch die spätromantische Muster individuell rezipierenden Fünf Intermezzi op. 10 von Hans Gál (1890–1987) mit eingespielt hat (im Original für Streichquartett), ist diese Musik doch gleichfalls absolut repräsentativ für ihr Entstehungsjahr 1914 (als z.B. Bruch, Gernsheim oder Rudorff noch unter den Lebenden weilten!), und die melodische Gabe und der Charme von Gáls Musik sprechen ohnehin für sich (man beachte nur etwa das entzückende Ständchen an zweiter Stelle).
Versiertes Ensemble, spannendes Programm, exzellenter Klang
Das sonic.art Saxophonquartett erweist sich grundsätzlich als versiertes, homogenes und ausgesprochen souveränes Ensemble. Die Suiten von Butting und Eisler geraten stellenweise vielleicht etwas zu glatt, womöglich teilweise auch eine Frage der (tendenziell leicht raschen) Tempi; jedenfalls könnte die spezielle Charakteristik dieser ja durchaus bewusst eckigen, eigenwilligen, hintergründigen Musik noch präziser herausgearbeitet werden. Nichtsdestotrotz: hier präsentiert ein Quartett auf sehr hohem Niveau ein ausgesprochen interessantes Programm in exzellenter Klangqualität, und dies verdient eine klare Empfehlung.
Holger Sambale [28.03.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Max Butting | ||
1 | Heitere Musik op. 38 (Zweite Rundfunkmusik) | 00:16:31 |
Hanns Eisler | ||
6 | Suite | 00:14:52 |
Alexander Mosolov | ||
12 | Drei kleine Stücke op. 23a | 00:02:25 |
Béla Bartók | ||
13 | Rumänische Weihnachtslieder | 00:10:41 |
Hans Gál | ||
15 | Fünf Intermezzi op. 10 | 00:18:26 |
Dimitri Schostakowitsch | ||
20 | Jazz Suite Nr. 1 op. 38 | 00:18:13 |
Interpreten der Einspielung
- sonic.art (Saxophonquartett)