Lost In Style
Kirill timofeev & Evgeny Sinaiski
Solo Musica SM 416
1 CD • 57min • 2022
31.01.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Seit zwanzig Jahren bilden der Cellist Kirill Timofeev, auch als Mitglied des Rastrelli-Celloquartetts bekannt, und der Pianist Evgeny Sinaisky, Sohn des Dirigenten Vassily Sinaisky, ein Duo, und mit „Lost in Style“ liegt nun ihr erstes gemeinsames Album vor. Dahinter verbirgt sich eine locker gefügte Zusammenstellung von Zyklen und Einzelstücken von Komponisten aus dem russischen bzw. sowjetischen Kulturraum, teils Exilanten, in denen die besagten Stilisierungen, das Aufgreifen und Arrangieren spezifischer Idiome also, eine zentrale Rolle spielen.
Stilisierungen von Barock, Folklore und Jazz
Exemplarisch dafür steht gleich zu Beginn der CD Igor Strawinski, bekanntlich ein Meister der Stilisierung und der stilistischen Neuorientierung, mit seiner Suite italienne. Dabei handelt es sich um eine gemeinsam mit Gregor Piatigorsky erstellte Suite aus dem Ballett Pulcinella, das seinerseits vermeintlich auf Musik von Pergolesi aufbaut, wobei mittlerweile bekannt ist, dass es sich bei einem nicht unwesentlichen Teil der Stücke um Fehlzuschreibungen handelt. Ein Hintergrund also, der reich an den im Beiheft zitierten „Spiegelungen“ ist. Die übrigen Werke auf der CD sind weniger bekannt, obwohl alle von ihnen jeweils in einer Hand voll CD-Einspielungen vorliegen. Die Lieder und Tänze op. 84 von Alexander Tscherepnin, der nach seiner Emigration 1921 u.a. in Frankreich, China, Japan und den USA lebte, verarbeiten gekonnt und sehr effektvoll georgisches, tatarisches, russisches und kosakisches Kolorit. Nikolai Kapustins „klassischer Jazz“, hier vertreten mit seinen Opera 96 bis 98, drei kurzen Stücken für Cello und Klavier, genießt mittlerweile seit geraumer Zeit auch international einige Aufmerksamkeit.
Ein Meister aus Georgien
Besonders eingehen möchte ich auf den Georgier Sulchan Zinzadse (1925–1991) und seine Fünf Stücke über Volksthemen (1950). Zinzadse, der selbst Cello spielte, hat sein Leben lang georgische Volkslieder arrangiert, insbesondere für Streicher, vorzügliche, aus profunder Kenntnis der Folklore einerseits und den Möglichkeiten der Streichinstrumenten andererseits erwachsene kleine Juwelen, und es sind diese Werke von ihm, denen man auch heute noch immer wieder begegnet. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Zinzadse auch in anderen Genres ein ungemein produktiver, fähiger und origineller Komponist war (u.a. fünf Sinfonien, zwölf Streichquartette), und man kann nur hoffen, dass auch den Neueinspielungen von größer angelegten Werken wie den 24 Präludien für Klavier (Grand Piano) oder dem Cellokonzert Nr. 2 (Maximilian Hornung, Myrios) in absehbarer Zeit weitere folgen werden.
Solide Interpretationen
Timofeevs Interpretationen sind grundsätzlich solide, sein Ton eher schlank, kühl und etwas trocken. In Evgeny Sinaisky steht ihm ein kompetenter, versierter Begleiter zur Seite. Der Klang der CD ist ordentlich, allerdings steht manchmal (z.B. Finale der Suite italienne) das Klavier etwas zu sehr im Vordergrund. Abstriche gibt es an einigen technisch heikleren Passagen, etwa den Oktaven in Tscherepnins Russischem Lied. Im Kosakentanz, der Tscherepnins Zyklus beschließt, wird das Tempo etwa bei 2:08 sehr stark gedrosselt, während Alexander Ivashkin in der Ersteinspielung hier nicht nachgibt – sicherlich eine Herausforderung, die aber einen gewaltigen, beinahe irrwitzigen Überschwang erzeugt, während die vorliegende Neuaufnahme doch eher mit gebremstem Schaum daherkommt. Grundsätzlich sind es allerdings noch stärker die lyrischen, freieren Passagen, die in Timofeevs Interpretationen Spielraum nach oben lassen – hier wäre noch deutlich breiteres, expressiveres Aussingen möglich, zumal auch die Tempi oft eher auf der schnelleren Seite sind. Schon ein wenig mehr Ruhe würde sich m.E. vorteilhaft auf die Serenata der Suite italienne auswirken, und im ersten von Zinzadses Fünf Stücken müsste der quasi-improvisatorische Aspekt dieser Musik stärker ausgespielt werden.
Interessant zusammengestelltes Programm
Begleitet wird die CD von einem eher knapp gehaltenen Begleittext, der sich besonders auf den Aspekt der Stilisierungen konzentriert (als kleine Korrektur sei angemerkt, dass die Violinfassung der Suite italienne nach der Version für Cello entstand; das Spiel der Arrangements ging übrigens später noch weiter, indem Heifetz und Piatigorsky das Werk für Violine und Cello einrichteten). Eine CD, die insbesondere durch ihr interessant zusammengestelltes Programm aufmerken lässt.
Holger Sambale [31.01.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Igor Strawinsky | ||
1 | Suite Italienne | 00:17:49 |
Alexander Tscherepnin | ||
7 | Songs and Dances op. 84 | 00:12:59 |
Sulkhan Tsintsadze | ||
11 | Carriage Song (aus Five Pieces On Folk Songs) | 00:04:43 |
12 | Chonguri (aus: Five Pieces On Folk Songs) | 00:01:20 |
13 | Sachidao (aus: Five Pieces On Folk Songs) | 00:02:31 |
14 | Nana (aus: Five Pieces On Folk Songs) | 00:02:53 |
15 | Dance Tune (aus: Five Pieces On Folk Songs) | 00:02:06 |
Nikolai Kapustin | ||
16 | Nearly Waltz op. 98 | 00:03:33 |
17 | Burlesque op. 97 | 00:04:01 |
18 | Elegie op. 96 | 00:05:15 |
Interpreten der Einspielung
- Kirill Timofeev (Violoncello)
- Evgueni Sinaiski (Klavier)