Beethoven
Symphony No. 9
BIS 9060
1 CD/SACD Mono • 83min • 1951
26.02.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Eine Furtwängler-Erstveröffentlichung? Nein. Und doch: ja. Robert von Bahr, Gründer des legendären schwedischen BIS-Labels, wurde im schwedischen Rundfunk fündig bei der Suche nach dem Mitschnitt der schwedischen Übertragung des Eröffnungskonzerts der ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg am 29. Juli 1951 unter Wilhelm Furtwängler. Vor Jahren hatte Orfeo die entsprechenden Bänder des Bayerischen Rundfunks veröffentlicht, die sich deutlich von der gleichlautend bezeichneten EMI-Aufnahme unterscheiden, und nun also die Alternative aus Stockholm.
Hommage an die Generation ‚Volksempfänger‘
Und bei BIS entschied man sich, mit Matthias Spitzbarth als Postproduzent, das Rundfunkband komplett unverändert zu belassen: mit Ansagen, ohne Kürzungen zwischen den Sätzen, mit nach respektvoller Stille einsetzendem Schlussapplaus, und vor allem ohne jegliche klanglichen Manipulationen inklusive der paar offenkundigen Störungen und der Publikumsgeräusche. Es wurde der Eindruck beabsichtigt, man sitze vor einem alten Radio und höre das gerade stattfindende Konzert mit – vor gut 70 Jahren. Wozu man natürlich wenn möglich ein passendes Equipment mit Röhrenverstärkern zur Verfügung haben sollte, um wirklich in einen authentisch erscheinenden Genuss zu kommen. (Die Bewertung des Klangbildes dürfte objektivierend höchstens 5 Punkte erreichen, doch in Anbetracht der gestellten Aufgabe lässt sich subjektiv ebenso die höchste Punktzahl rechtfertigen.)
Einziges Manko bleibt das Booklet: der Essay über das Werk von Barry Cooper ist total entbehrlich, um wie viel angebrachter wäre eine Betrachtung dieser Aufführung und ihrer Umstände von einem wirklichen Kenner gewesen (und das hieße: auf gar keinen Fall ein bornierter Schwadroneur und mutwillliger Geschichtsfälscher wie Norman Lebrecht – der Sündenfall der Deutschen Grammophon dient hier als immerwährend peinliche Warnung). Sei’s drum.
Mitreißendes Abenteuer
Musikalisch gehört dieses Konzert zu den ganz großen Sternstunden dokumentierter Livemusik. Furtwängler muss an seinen Konzerten gemessen werden, und nicht an seinen Studioeinspielungen, wenn man nachvollziehen will, was da wirklich los war – was natürlich immer auch hypothetisch bleiben wird. Seine Neunte, besonders in diesem prominenten Konzert, wird mit jedem hören ein ganz besonders mitreißendes Abenteuer bleiben. Das gilt für den sich gewaltig auftürmenden Kopfsatz, bei dem das Maestoso erfüllt ist wie kaum je sonst außer unter Celibidache; für das ekstatisch wild herausfahrende Scherzo; für das elysisch verinnerlichte Adagio, das besonders in den Geigenfigurationen von einer unübertroffen liebevollen Lebendigkeit ist; und vor allem für das Finale. Herrlich, wie das Thema bei seinem ersten Auftreten im Orchester aus dem Nichts zu voller Macht anwächst, mit wunderbar durchlebtem Fagottkontrapunkt; unwiderstehlich vorwärtsdrängend das Alla Marcia mit Hans Hopf und das mit singulär stürmischer Vehemenz sich anschließende orchestrale Fugato; und ganz unglaublich, als nie wieder erreichte Referenz, der Prestissimo-Schluss, der plötzlich so gar nicht mehr drangehängt und leichtgewichtig erscheint, sondern von einer durchschlagenden, alles Gewesene hinwegfegenden Notwendigkeit und Stringenz, die dem Publikum den Atem verschlagen haben muss. So muss es sein, ja, man glaubt während des Hörens, dass es eigentlich nur so sein kann. Elisabeth Schwarzkopf, Elisabeth Höngen, Hans Hopf und Otto Edelmann bilden ein Solistenquartett, von dem man heute nur noch träumen kann, und der Chor der Bayreuther Festspiele geht vollkommen über alle Reserven hinaus. Man spürt nicht nur die ansteckende Begeisterung, sondern auch den Mut aller Beteiligten, zu dem Furtwängler sie mit der ganzen Kraft seiner Gegenwärtigkeit motivierte.
Also: wer die Aufnahme schon hat, wird feststellen, dass er/sie sie noch nicht hatte. Nicht in dieser Qualität. Und wer dieses historische Dokument noch nicht kennt, sei unbedingt auf seinen einmaligen Wert hingewiesen, auf den man gar nicht dringend genug hinweisen kann.
Christoph Schlüren [26.02.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 (mit Schlußchor über Verse aus Schillers "Ode an die Freude") | 01:15:36 |
Interpreten der Einspielung
- Elisabeth Schwarzkopf (Sopran)
- Elisabeth Höngen (Alt)
- Hans Hopf (Tenor)
- Otto Edelmann (Bass)
- Chor der Bayreuther Festspiele (Chor)
- Orchester der Bayreuther Festspiele (Orchester)
- Wilhelm Furtwängler (Dirigent)