Brahms
Clarinet Sonatas op. 120
Flute and Piano Versions
Naxos 8.574291
1 CD • 71min • 2020
02.09.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Was sollen wir armen Flötisten bloß machen? Kein Hochromantiker hatte unser Instrument wirklich lieb.“ Diese Klage ist durchaus berechtigt, denn tatsächlich klafft zwischen Franz Schuberts Variationen über Trockne Blumen gerade im deutschen Repertoire eine empfindliche Lücke, die auch Carl Reinecke mit seiner singulären Undine-Sonate nicht wirklich schließen konnte. Wer etwas Romantisches benötigt, ist somit gezwungen, auf die Hexereien eines Giuseppe Gariboldi, Jule Demersseman, Jean-Louis Tulou oder Theobald Boehm zurückzugreifen oder sich Werke für andere Instrumente selbst zu bearbeiten.
Wenn ein Schütz dem Theobald Rex folgt …
Es sei denn, er befolgt wie hier Karl-Heinz-Schütz den Rat des Querflötenrevolutionärs Theobald Boehm. Dieser schreibt 1871 in „Die Flöte und das Flötenspiel“: „Um z. B. ein Adagio mit allen vorkommenden Coloraturen gut vorzutragen, muss der Spieler nicht nur Herr und Meister seines Instrumentes, sondern auch im Stande sein, seine Töne gleichsam in Worte zu verwandeln.“ … „Er muss auf seinem Instrumente singen lernen; denn nur im Gesang wird man durch die Worte des Textes sicher auf die richtige Vortragsweise hingeleitet, weil erst mit dem Worte ein deutlicher Begriff der durch die Töne erregten Empfindungen verbunden ist.“ … „Er wird durch das Studium guter Gesangsmusik erlernen, wo und warum eine Note angestoßen werden musss, oder auf die zunächst folgenden herübergeschliffen werden darf, wo ein Accent, ein Crescendo oder Diminuendo in der Tonstärke geboten ist, um dem Worte den entsprechenden Ausdruck zu verleihen und wo ohne Störung der richtigen Deklamation Athem geschöpft werden kann.“
Somit geht Karl-Heinz Schütz genau den richtigen Weg und bläst neun Brahms-Lieder mit hinreißender Tonschönheit, subtilen Farbwechseln und einer Eleganz in Phrasierung und Atemführung, die jeden Flötenvirtuosen zur Nachahmung anstacheln sollte und dabei manche Sänger lehrt, was das innerlich erfüllte „legato“ einer Phrase bedeutet. Chapeau! Ein höchst „brauchbarer Virtuoso“ sollte jedoch den Boehm noch ein wenig weiterlesen: „Bei Wiederholung einer Strophe hingegen, wo der Vortrag wegen Ermangelung der Worte leicht monoton werden kann, darf sich der Spieler schon einige Licenzen erlauben und an passenden Stellen kleine Verzierungen anwenden; namentlich bei lebhaften und leichtbeweglichen Melodien, … wo die heitere Ausdrucksweise nur gewinnen kann, wenn die Verzierungen nicht schwerfällig, sondern leicht und graciös ausgeführt werden.“
Mon dieu, der vergreift sich an Sonaten!
Mancher Purist mag über eine Bearbeitung der beiden Klarinetten/Bratschensonaten für Flöte das empörte Näschen rümpfen. Aber war nicht das 19. Jahrhundert das Dorado der Arrangeure? Brahms selbst arrangierte Bach, Chopin und Gluck sowie Eigenes (opp.18-2, 39, die Sinfonien und die ersten 10 Ungarischen Tänze, die wiederum von Joseph Joachim für Geige und Klavier arrangiert wurden). Klavierquintett und Haydn-Variationen erschienen parallel als Werke für zwei Klaviere. Neben Klarinetten- und Bratschenstimme wurde für das Opus 120 beim Hausverleger Simrock noch eine Geigenstimme gedruckt, die bereits erhebliche Hochoktavierungen einschloss. Diese muss ein Flötist bis zum b3 weiter ausdehnen, um sich den Farbvaleurs der unterschiedlichen Klarinettenregister annähern zu können. Trotzdem mag es Manchem ein wenig an der samtigen Wohligkeit fehlen, die Klarinette oder Bratsche nun mal bieten. Wenn man diese Hochoktavierungen und den teilweisen motivischen Austausch zwischen Klavier und Flöte so elegant realisiert, entstehen jedoch durchaus wertvolle, leuchtend-freundliche Repertoireerweiterungen, die publiziert werden sollten.
Wie bei Naxos übrig, ist der Booklet-Text eher knapp gehalten, dafür gefällt die Aufnahmetechnik.
Fazit: Die fast exemplarisch realisierten Lied-Interpretationen sind für alle Bläser, denen es an romantischem Repertoire mangelt, hochrelevant. Die Sonaten lassen sich aus der Violin-Fassung relativ einfach für andere Flötisten rekonstruieren. Aufgrund der Tonarten wäre auch eine Fassung für Englischhorn vorstellbar. Somit Pflichtkauf für aktive Bläser und deren Freunde.
Thomas Baack [02.09.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Klarinettensonate f-Moll op. 120 Nr. 1 | 00:22:54 |
5 | Klarinettensonate Es-Dur op. 120 Nr. 2 | 00:21:46 |
8 | Minnelied op. 71 Nr. 5 | 00:02:11 |
9 | Wir wandelten op. 96 Nr. 2 (aus Ungarn) | 00:02:52 |
10 | Von ewiger Liebe op. 43 Nr. 1 | 00:04:24 |
11 | Bitteres zu sagen denkst du op. 32 Nr. 7 (aus Persien) | 00:01:54 |
12 | O liebliche Wangen op. 47 Nr. 4 | 00:01:37 |
13 | Immer leiser wird mein Schlummer op. 105 Nr. 2 | 00:03:34 |
14 | Wiegenlied op. 49 Nr. 4 (aus: Des Knaben Wunderhorn) | 00:01:37 |
15 | An eine Äolsharfe op. 19 Nr. 5 | 00:04:43 |
16 | Wie Melodien zieht es mir op. 105 Nr. 1 | 00:04:43 |
Interpreten der Einspielung
- Karl-Heinz Schütz (Flöte)
- Maria Prinz (Klavier)