Brahms/Piatti
Hungarian Dances
MDG 903 2202-6
1 CD/SACD stereo/surround • 59min • 2020
30.04.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Johannes Brahms lernte das ungarische Idiom bereits als Teenager kennen, da sich viele Magyaren in der Folge des fehlgeschlagenen Unabhängigkeitskriegs 1848/49 in Hamburg vor habsburgischer Verfolgung in Sicherheit gebracht hatten. Unter diesen befand sich auch der Geiger Eduard Remenyi, mit dem er einige Jahre später auf Tournee gehen sollte und wohl auch Repertoire „alla zingarese“ dabei aufführte. In seinem späteren Schaffen finden sich mannigfaltige Reflexe auf diese Zeit, man denke nur an das Finale des Klavierquartetts op. 25, die Zigeunerlieder op. 103 und das Klarinettenquintett op. 115. Möglicherweise lässt sich aus dieser Vorliebe eine gewisse Sympathie mit demokratischen Bestrebungen – wie sie ja auch Wagner und Liszt hegten – herauslesen.
Die Ungarischen Tänze tragen, wie auch seine Bearbeitungen deutscher Volkslieder, keine Opuszahl, da sich Brahms hier nur für die Zusammenstellung und den Tonsatz verantwortlich fühlte. Somit erschien die ursprüngliche Fassung für Klavier zu 4 Händen mit dem bescheidenen Titel „gesetzt von Johannes Brahms“. Ironischerweise war es gerade das erste Heft mit den Bearbeitungen 1-10 – von ihm selbst auch zusätzlich (nahezu unspielbar) 2-händig bearbeitet – das den Namen des Komponisten populär machte. Alle 21 Tänze wurden später von Joseph Joachim, mit dem den Komponisten eine lebenslange Freundschaft verband, als virtuose Soli für Violine und Klavier eingerichtet. Da wollten die Cellisten nicht nachstehen.
Alfredo Piatti, der Paganini des Cellos
Alfredo Piatti – einer der bedeutendsten Cellisten im 19. Jahrhundert – schuf mit seinen 12 Capricci op. 25 ein durchaus anhörenswertes, tiefes Pendant zu den heute wesentlich bekannteren 24 Capricen von Niccolò Paganini. In London war er Quartett-Partner Joachims im Beethoven Society Quartet und gesuchter Lehrer der Royal Academy of Music. Vergleicht man den Notentext beider Ausgaben fällt auf, dass sich Piatti in seinen teilweise hochvirtuosen Transkriptionen stark an der Fassung des Geigenkollegen orientierte.
Erste Gesamteinspielung der Cello-Transkriptionen
Guido Schiefen und Markus Kreul haben die Tänze, die bisher nur in Auswahl und verstreut – etwa als Zugabe zu den beiden Sonaten – greifbar waren, erstmalig komplett auf SACD eingespielt. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Ohrwürmer aus anderer Perspektive zu hören. Dabei gelingen die lyrischen Stücke – wie die hinreißend gespielte Nr. 3 – generell besser als die dramatischen Piècen in Moll, denen das verführerisch Zigeunerische manchmal abgeht. Das liegt daran, dass gelegentlich zum Säbel gegriffen wird, wo ein Degen bereits ausreichte. Dadurch verlieren Passagen auf der hohen A-Seite ihre sinnliche Erotik, werden greinend und es stellen sich Intonationstrübungen (Doppelschlagfiguren in den Nrn. 1+2) ein. Markus Kreul erledigt seine pianistisch durchaus anspruchsvolle Aufgabe mit Aplomb, zwingt seinen Partner jedoch gelegentlich zum Forcieren, was aufgrund des dichten Satzes und der Tatsache, dass das Cello gegen die klanglich ergiebigste Lage des Flügels ankämpfen muss, nur vermeidbar wäre, wenn man wichtige Details unterschlüge. Alles in allem eine gute, interessante, jedoch nicht makellose Interpretation.
Die Aufnahme dürfte sich in Surround besser entfalten als in Stereo, gibt aber zu keiner Klage Anlass. Der Booklet-Text ist ein wenig sparsam gehalten.
Fazit: Interessante, musikalisch hochachtbare Einspielung, die die Möglichkeit bietet, diese Ohrwürmer einmal in kammermusikalischer Façon zu erleben.
Thomas Baack [30.04.2021]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Ungarischer Tanz Nr. 1 (Allegro molto) | 00:03:21 |
2 | Ungarischer Tanz Nr. 2 (Allegro non assai) | 00:03:16 |
3 | Ungarischer Tanz Nr. 3 (Allegretto) | 00:02:38 |
4 | Ungarischer Tanz Nr. 4 (Poco sostenuto) | 00:04:41 |
5 | Ungarischer Tanz Nr. 5 (Allegro) | 00:02:33 |
6 | Ungarischer Tanz Nr. 6 (Vivace) | 00:03:26 |
7 | Ungarischer Tanz Nr. 7 (Allegretto) | 00:01:56 |
8 | Ungarischer Tanz Nr. 8 (Presto) | 00:03:26 |
9 | Ungarischer Tanz Nr. 9 (Allegro non troppo) | 00:02:26 |
10 | Ungarischer Tanz Nr. 10 (Presto) | 00:02:12 |
11 | ungarischer Tanz Nr. 11 (Poco andante) | 00:03:22 |
12 | Ungarischer Tanz Nr. 12 (Presto) | 00:03:02 |
13 | Ungarischer Tanz Nr. 13 (Andantino grazioso) | 00:01:59 |
14 | Ungarischer Tanz Nr. 14 (Un poco andante) | 00:02:02 |
15 | Ungarischer Tanz Nr. 15 (Allegretto grazioso) | 00:03:15 |
16 | Ungarischer Tanz Nr. 16 (Con moto) | 00:02:59 |
17 | Ungarischer Tanz Nr. 17 (Andantino) | 00:03:50 |
18 | Ungarischer Tanz Nr. 18 (Molto vivace) | 00:01:44 |
19 | Ungarischer Tanz Nr. 19 (Allegretto) | 00:01:59 |
20 | Ungarischer Tanz Nr. 20 (Poco allegretto) | 00:02:38 |
21 | Ungarischer Tanz Nr. 21 (Vivace) | 00:02:16 |
Interpreten der Einspielung
- Guido Schiefen (Violoncello)
- Markus Kreul (Klavier)