Peter Lieberson
Songs of Love and Sorrow • The Six Realms
Ondine ODE 1356-2
1 CD • 49min • 2019
24.09.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Peter Lieberson (1946-2011) war bereits todkrank, als er sich entschloß, einen neuen Kompositionsauftrag des Boston Symphony Orchestra anzunehmen, das 2005 unter James Levines Leitung seine Neruda Songs uraufgeführt hatte, mit der Mezzosopranistin Lorraine Hunt, seiner Frau, als Solistin. Sie starb im Jahr darauf an Brustkrebs. Den neuen, wiederum auf Nerudas Dichtungen basierenden Zyklus Songs of Love and Sorrow schrieb er deshalb für eine Baritonstimme. Er ist Fortsetzung und Gegenstück zu dem vorangegangenen. Textvorlage sind fünf ausgewählte Titel aus den hundert Liebessonetten (Cien sonetos de amor) des chilenischen Dichters, seiner Muse und späteren Frau Matilde Urrutia gewidmet und 1959/60 in nur 50 Exemplaren veröffentlicht. Lange vor der sexuellen Revolution hatten sie in ihrer metaphernreichen Verherrlichung der körperlichen Liebe noch beträchtliches Skandalpotential. 2010 wurde der Zyklus mit dem Bariton Gerald Finley in Boston uraufgeführt. Im selben Jahr kam – seltsame Koinzidenz – in Los Angeles Daniel Catáns Oper Il postino heraus , in der Nerudas Beziehung zu Matilda die zentrale Rolle spielt und das Gedicht Desnudas aus den Cien sonetos als Arie erscheint. Placido Domingo sang die Rolle des Dichters.
Aus romantischem Geist
In Liebersons Adaption erscheint die Sinnlichkeit von Nerudas Dichtungen auf eine kontemplative Ebene gehoben, das lyrische Ich erinnert in der Haltung an die deutschen Romantiker, immer auf der Suche nach dem Ideal. Der farbenreich ausgeführte, manchmal fast zu üppige Orchesterpart steht in der Tradition der Neo-Romantik, die Führung der Gesangsstimme folgt der Sprache Nerudas, die ihrem Wesen nach schon pure Musik ist. Finley, der in den Arbeitsprozeß des Komponisten einbezogen war, ist mit seinem kernigen und edlen Bariton, seiner ausgefeilten Textbehandlung und seinem völligen Aufgehen in der Musik für diese Lieder der berufene, in jedem Moment authentische Interpret. Die Stimme steht wie ein Fels in der Brandung des gelegentlich spätromantisch aufrauschenden Orchesters, findet andererseits den intimen, von aufdringlicher Brünstigkeit freien Tonfall, der diesen singulären Liebesgedichten angemessen ist.
Nicht nur für Buddhisten
Dem Zyklus vorangestellt ist das Konzert für Cello und Orchester, The Six Realms (2000), im Auftrag von Yo-Yo-Mas Silkroad Projekt entstanden. Lieberson reflektiert hier seine langjährige Erfahrung mit dem tibetischen Buddhismus, ohne dabei auf tibetische Volksmusik zurückzugreifen. Sechs Bereiche, die für verschiedene Emotionen und Wahrnehmungen stehen, nehmen hier musikalisch Gestalt an, wobei das Cello als geistiger Führer durch diese Bereiche dient, oft aber auch, vom Orchester losgelöst, zum Protagonisten wird (The human realm). Anssi Karttunen, der mit Lieberson befreundet war und noch mit ihm gearbeitet hat, ließ sich 15 Jahre Zeit, in diese buddhistische Welt einzudringen, bevor er das Stück öffentlich spielte. Aber auch ohne diesen spirituellen Bezug ist es eine faszinierende musikalische Erfahrung, die viel Phantasie freisetzen kann. Das Idiom klingt dabei oft vertraut, manches erinnert an Brahms. Karttunens warmes und intensives Musizieren zieht den Hörer in den Bann, das Finnish Radio Symphony Orchestra unter Hannu Lintu entfaltet – wie schon bei den Liedern – einen opulenten Klang, ohne dabei in die Extreme der Effekthascherei oder des mystischen Nebels zu verfallen.
Ekkehard Pluta [24.09.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Peter Lieberson | ||
1 | The Sorrow of The World (aus The Six Realms) | 00:03:40 |
2 | The Hell Realm | 00:04:00 |
3 | The Hungry Ghost Realm | 00:04:52 |
4 | The Animal Realm | 00:02:54 |
5 | The Human Realm | 00:02:37 |
6 | The God Realm and The Jealous God Realm | 00:04:43 |
7 | Des las estrellas que admiré (aus Songs of Love and Sorrow) | 00:06:03 |
8 | Plena mujer, manzana carnal, luna caliente | 00:04:27 |
9 | Cantas y a sol y a cielo con tu canto | 00:04:46 |
10 | Tal vez no ser es ser sin que tú seas | 00:04:11 |
11 | Amor mío, al cerrar esta puerta nocturna | 00:06:32 |
Interpreten der Einspielung
- Gerald Finley (Bariton)
- Finnish Radio Symphony Orchestra (Orchester)
- Hannu Lintu (Dirigent)