Pēteris Vasks
Viola Concerto • String Symphony 'Voices'
BIS 2443
1 CD/SACD stereo/surround • 66min • 2018
22.05.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Verdienste des Symphonikers Janis Ivanovs sind hoch zu schätzen, doch bereits zu Lebzeiten ist es Peteris Vasks, der in aller Welt als repräsentativer Komponist des kleinen lettischen Volkes wahrgenommen wird. Was anderen, größeren Ländern ihre Nationalromantiker sind oder ihre großen Genies am Umbruch in die Moderne (Sibelius, Nielsen, Bartók, Enescu, Szymanowski, Falla, Khachaturian, Skalkottas, Saygun), was für die benachbarten Esten Arvo Pärt ist, das ist für die Letten Peteris Vasks. Und weltweit erhält Vasks lukrative und prestigeträchtige Aufträge.
Suggestiv ergreifendes Geschehen
Der große finnische Dirigent und Streichorchestererzieher Juha Kangas, der Vasks’ Namen zuerst in die westliche Welt trug, und die Kangas gewidmete Streichersymphonie Balsis (Stimmen) von 1991 ist für mich nach wie vor eines fesselndsten und von höchster Inspiration zeugenden Werke Vasks’. Nun liegt es, zusammen mit der Ersteinspielung des Konzerts für Bratsche und Streichorchester von 2014-15, in einer herausragenden Neuaufnahme der Sinfonietta Riga unter der Leitung des Solisten und Widmungsträgers des neuen Konzerts, Maxim Rysanov, in einer Aufnahme von 2018 erneut auf CD vor und überzeugt wie eh und je. Die Stimmen-Symphonie hat sich ihre Frische, Intensität und Unmittelbarkeit erhalten. Diejenigen, welche skeptisch gegenüber Vasks sind und nicht nur an seiner aus der Tradition gewachsenen Tonsprache herumnörgeln, sondern auch seine handwerklichen Fähigkeiten in Frage stellen, seien ausdrücklich auf diese Symphonie verwiesen, die zwar nie das Raffinierte in den Vordergrund stellt oder zum Selbstzweck macht, jedoch mit äußerst feiner Kunst Gewebe entstehen lässt, Naturlaute, vor allem Vogelstimmen-Beschwörungen, in improvisatorisch anmutender Verzückung integriert, gewaltige Steigerungen aus der Stille in die maximale Verdichtung aufbaut, die dann in quasi-aleatorische Überwucherung umkippen, in ein begrenzt entfesseltes Chaos, bevor sie über machtvolle Pedaltöne wieder ausgerichtet werden. Die Symphonie beginnt und endet in der Stille, und dazwischen entwickelt sich ein organisch zusammenhängendes, suggestiv ergreifendes Geschehen, das zwar Klischees der Postmoderne streifen mag, sich diesen jedoch trotz aller bewussten Einfachheit, freien Behandlung von Wohlklang und im Kontrast dazu geradezu vor Spannung zu bersten scheinenden Dissonanzen, trotz allem bekenntnishaft innewohnenden Drama, das von der Klage über die Bedrohung bis zur Ekstase den Bogen spannt, trotz alledem nicht ins Klischee einordnen lässt. Für diejenigen jedenfalls, die gerne Subtilitäten lauschen und lieber eine echte Erfahrung machen als ein peinliches Urteil fällen.
Vasks schreibt seine eigene Folklore
Auch das neue Bratschenkonzert erscheint mir als eines von Vasks’ besten Werken, zumal aus den letzten Jahren, die Bratsche ist ein Instrument, auf welchem das melancholische Wesen seiner Musik sich geradezu ideal ausdrücken kann, aber vielleicht liegt dieser herrliche Eindruck nicht weniger daran, dass es so ausnehmend wunderbar gespielt ist. Und zwar nicht nur vom vortrefflichen Maxim Rysanov, sondern auch von einem Ensemble, das alles tut, was in seiner Macht steht, und beherzt an einem Strang zieht. Das 36minütige Bratschenkonzert hat vier Sätze, worunter nur der zweite ein tänzerisch schneller ist, im dritten und vierten jedoch heftige dramatische Ausbrüche auch für Beschleunigung der breiten Grundtempi sorgen. Auch hier, in diesem scheinbar Folklore evozierenden, solche jedoch nicht zitierenden oder imitierenden Konzert, können wir Vasks’ Kunst der feinen Verwebung und das wilde Potential seiner mächtigen Steigerungen bewundern. Vasks schreibt seine eigene, lettisch gefärbte ‚Folklore‘. Er ist ein zutiefst ehrlicher, authentischer Komponist, und in seiner Wirkung sehr von einer entsprechenden Haltung seiner ‚Interpreten‘ abhängig. Diese leisten hier Außergewöhnliches und profitieren natürlich hör- und spürbar von der Anwesenheit des Komponisten in seiner Heimatstadt. So ist auch die Stimmen-Symphonie, trotz der eigentlich einschüchternd großartigen alten Aufnahme des Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Juha Kangas (für Finlandia, heute Warner Classics, jedoch leider vergriffen), hier in exemplarischer Qualität vorgelegt. Ein Album mithin, das sowohl den Anhängern von Vasks als auch Neueinsteigern in seine Welt rundum zu empfehlen ist, zumal auch noch das Klangbild (in der Johanneskirche in Riga, aufgenommen und produziert von Marion Schwebel) grandios ist: An dem, was wir hier hören, ist das schöpferische Format von Peteris Vasks zu messen.
Christoph Schlüren [22.05.2020]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Pēteris Vasks | ||
1 | Konzert für Viola und Streichorchester (Maxim Rysanov gewidmet) | 00:35:39 |
5 | Sinfonie für Streicher (Stimmen) | 00:29:15 |
Interpreten der Einspielung
- Sinfonietta Riga (Orchester)
- Maxim Rysanov (Viola, Dirigent)