Ermanno Wolf-Ferrari
Die vier Grobiane
cpo 555 140-2
2 CD • 2h 10min • 2014
13.01.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In Italien hatte der deutsch-italienische Venezianer Ermanno Wolf-Ferrari, der mit Taufnamen Hermann Friedrich Wolf hieß, lange Zeit einen sehr schweren Stand. Dagegen fand er in München, seiner Wahlheimat, nach Studien bei Josef Rheinberger ein aufgeschlossenes Publikum und erlebte mit seiner ersten Adaption einer Goldoni-Komödie, Le donne curiose, die 1903 im Cuvilliés-Theater in einer deutschen Übersetzung als Die neugierigen Frauen uraufgeführt wurde, seinen Durchbruch auf der Opernbühne. Die Premiere der Originalfassung fand erst 1912 an der Metropolitan Opera unter Arturo Toscanini statt. Ähnlich erging es auch Wolf-Ferraris nächstem Stück nach Goldoni, I quatro rusteghi: 1906 als Die vier Grobiane an der Münchner Hofoper unter Felix Mottl aus der Taufe gehoben, wurde es acht Jahre später erstmals in Italien (im Mailänder Teatro Lirico) gespielt.
Wolf-Ferrari nimmt in beiden Opern die große Tradition der italienischen Opera buffa wieder auf und huldigt einem feinsinnigen Klassizismus, wie ihn zur selben Zeit auch die Komponisten der sogenannten „Generation der Achtziger“ (Pizzetti, Casella, Malipiero) kultivierten. Das war eine musikalische Antwort auf die lange Zeit dominierenden Strömungen des Wagnerismo und des Verismo, ein „Zurück zu den Quellen“, zu Pergolesi und Cimarosa. Bei Wolf-Ferrari gibt es aber noch ein anderes großes Vorbild, Giuseppe Verdis Alterswerk Falstaff. Er hat den Meister, dem er einmal persönlich vorgestellt wurde, sehr bewundert, und das wird an einigen Stellen besonders deutlich, etwa im turbulenten Finale des 2. Aktes, aber auch in der Zeichnung des Liebespaares Lucieta und Filipeto, das an Nanetta und Fenton denken lässt. Die Orchesterbehandlung ist von kammermusikalischer Delikatesse, in der Führung der Singstimmen wechselt leichtfüßiges Parlando mit lyrischen Ariosi und pointierten und transparenten Ensembles – eine Partitur für musikalische Feinschmecker, auch heute noch.
Dass das bühnenwirksame Stück dennoch auf unseren Spielplänen kaum mehr anzutreffen ist, wo es bis in die 1960er Jahre einen bescheidenen Platz hatte, liegt wohl an seinem retrospektiven Charakter. Das Gesellschaftsbild, das der Aufklärer Carlo Goldoni in der Komödie I rusteghi (1760) zeichnet, war wohl schon zur Entstehungszeit der Oper ziemlich veraltet und ist es heute mehr denn je. Die „rusteghi“, wie sie im Original heißen, sind nicht nur Grobiane, sondern starrsinnige Reaktionäre, die ihre Ehefrauen unterdrücken und sich mit bäuerlicher, eben „rustikaler“ Sturheit dem gesellschaftlichen Leben der Großstadt verschließen. Die emanzipierte Felice, die ihren Gatten Cancian an die Kandare nimmt und ihm einen offiziellen Cicisbeo zumutet, hält den immer kleinmütiger werdenden Männern am Ende eine ordentliche Standpauke, die zu einem Happy End, aber wohl kaum zu einer dauerhaften Einsicht führt.
Nach den Neugierigen Frauen hat der Bayerische Rundfunk den WahlMünchner Wolf-Ferrari auch mit einer konzertanten Aufführung der Vier Grobiane geehrt, die jetzt, mehr als fünf Jahre später, als CD veröffentlicht wird. Sie füllt als einzige deutsch gesungene Aufnahme nicht nur eine Lücke, sie macht auch großen Spaß, da sie von einer überzeugenden Ensembleleistung geprägt ist, im instrumentalen und vokalen Bereich fein ausdifferenziert, und zudem ein bißchen Bühnen-Atmosphäre vermittelt. Stimmlich ragen die Sopranistin Christina Landshamer als Lucieta, der Tenor Markus Francke als Filipeto und der Bassist Jürgen Linn als Lunardo heraus. Ein weiteres Mal beweist Ulf Schirmer am Pult des Münchner Rundfunkorchesters ein geschicktes Händchen für Wolf-Ferraris Musik, Akkuratesse und Leichtigkeit gehen eine glückliche Verbindung ein.
Das Booklet enthält das Libretto auf deutsch und englisch, einen klugen Essay von Sebastian Stauss, aber keine Biographien der beteiligten Sänger.
Ekkehard Pluta [13.01.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ermanno Wolf Ferrari | ||
1 | Die vier Grobiane (Musikalisches Lustspiel in drei Aufzügen) | 02:10:04 |
Interpreten der Einspielung
- Christina Landshamer (Lucieta, Lunardos Tochter - Sopran)
- Susanne Bernhard (Marina, Filipetos Tante und Simons Frau - Sopran)
- Christine Buffle (Felice, Cancians Frau - Sopran)
- Nathalie Flessa (Eine junge Magd Marinas - Mezzosopran)
- Zoryana Kushpler (Margarita, Lunardos zweite Frau - Mezzosopran)
- Markus Francke (Filipeto, Maurizios Sohn - Tenor)
- Uwe Eikötter (Conte Riccardo, ein fremder Edelmann - Tenor)
- Peter Schöne (Simon, Kaufmann - Bariton)
- Jürgen Linn (Lunardo, Antiquitätenhändler - Bariton)
- Victor von Halem (Maurizio, Kaufmann - Baß)
- Friedemann Röhlig (Cancian, reicher Bürger - Baß)
- Münchner Rundfunkorchester (Orchester)
- Ulf Schirmer (Dirigent)