„Flügel musst du jetzt mir geben!“
Melodramen
Thorofon CTH26453
3 CD • 3h 13min • 2017
06.07.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Pathos ist unserer Zeit fremd geworden, Coolness ist heute Devise. Und in der Tat kann Pathos furchtbar sein – wenn man nicht Schillers Worte in dessen Abhandlung „Vom Pathetischen und Erhabenen“ berücksichtigt: „Das Pathetische ist nur ästhetisch, insofern es erhaben ist.“ Erhabenheit und Ästhetik dominiert Gott sei Dank auf dieser CD-Edition, die der Deklamator Peter P. Pachl und der Pianist Klaus Maria Klaas zusammengestellt haben. Es sind „Melodramen“ – eine Gattung, die um die Jahrhundertwende 1900 groß in Mode war, dann aber in den Zeiten der Neuen Sachlichkeit verschwand, bis sie jetzt eine wunderliche Renaissance erfährt. Kommt doch zeitgleich mit dieser CD mit dem schönen Titel Flügel musst du jetzt mir geben eine CD mit demselben Melodram von Viktor Ullmann heraus, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Rilke von Rainer Maria Rilke.
Pathos ist nicht furchtbar, wenn man dem sympathisch süddeutschen Tonfall samt dem rollenden Burgtheater-„R“ von Peter P. Pachl lauscht, der schöne dynamische Aufschwünge gestaltet und oft ins melodische Singen gerät: insgesamt sehr angenehm anzuhören. Und Rainer Maria Klaas erweist sich als äußerst wendiger, markanter und bildmalender Pianist. Beide scheinen sich in ihren Darbietungen immer weiter gegenseitig zu beflügeln, ganz im Sinne des CD-Titels.
Interessanterweise versammelt diese Dreifach-CD gleich zwei Versionen des Rilke’schen Cornets. Die des österreichischen Komponisten Casimir von Pásthory (1886-1966) ist dessen Opus 1, die seines Landmanns Viktor Ullmann (1898-1944) ist eines seiner letzten Werke, komponiert im KZ Theresienstadt. Sehr farbig ist die Klavierbegleitung bei Pásthory, schillernder und funkelnder und auch insgesamt elegischer ist die von Ullmann, der diese Ballade deutlich in 11 Abschnitte trennt. Vor allem die Monotonie des Reitens ist hübsch musikalisch illustriert. Pachls Deklamation vermindert etwas die jugendstilige Preziosität zugunsten einer natürlich fließenden Erzählhaftigkeit und einer eindringlichen Gegenwärtigkeit.
Im Gedächtnis haften bleiben die beiden Balladen von Felix Dahn, sowohl Graf Walther und die Waldfrau, die nicht mit dem Herzen liebt, sondern mit den Sinnen, also ein echtes Tannhäuser-Thema, als auch Die Mette von Marienburg, in der der Deutschordensritter Falk von Stauf sich für die Rettung der Marienburg opfert. Das erste Melodram gefällt mit verführerischem Klavierglitzern in der Vertonung von Alexander Ritter (1833-1896), die andere mit der bildgewaltigen musikalischen Illustration des Rittes des Ritter durch reißende Wolfsrudel und über den krachenden Eisgang der Nogat, verfolgt von polnischen Reitern, bis die Rettung sich zu strahlendem Triumph-Dur aufschwingt in der Vertonung durch Ferdinand Hummel (1855-1928), der schon Musik für Stummfilme komponierte.
Schillers Kraniche des Ibykus enthalten viele reine Sprechstellen, die Musik von Max Zenger (1837-1911) ist mehr atmosphärisch gehalten. Die Auswanderer, von Oskar Fried (1871-1941) auf ein Gedicht von Émile Verhaeren in der Übersetzung von Stefan Zweig komponiert, würden in der Fassung mit Orchester eine noch faszinierendere Wirkung entfalten, Orient-Atmosphäre zaubert die Klavierbegleitung in Goethes Der Gott und die Bajadere von Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern (1859-1949).
Am CD-Spieler muss man den Lautstärkeregler schon sehr weit aufdrehen, um die maximal eindringliche Wirkung zu bekommen. Da hätte der Tonmeister akustisch alles mehr nach vorne rücken können. Für – vielleicht altmodische? – Balladenfreunde ist diese Dreifach-CD durchaus ein Vergnügen, für das Repertoire ist es wichtig, dass alle Aufnahmen entweder Ersteinspielungen auf Tonträgern überhaupt oder Ersteinspielungen in der Klavierversion sind.
Rainer W. Janka [06.07.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Casimir von Pászthory | ||
1 | Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke | 00:32:47 |
Josef Pembaur d.J. | ||
2 | Das klagende Lied | 00:19:48 |
Alexander Ritter | ||
3 | Graf Walther und die Waldfrau op. 24 | 00:12:56 |
Engelbert Humperdinck | ||
4 | Königskinder | 00:06:02 |
CD/SACD 2 | ||
Ferdinand Hummel | ||
1 | Die Mettevon Marienburg op. 114 | 00:16:55 |
Max Zenger | ||
2 | Die Kraniche des Ibykus | 00:13:11 |
Viktor Ullmann | ||
3 | Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke | 00:27:58 |
CD/SACD 3 | ||
Oskar Fried | ||
1 | Die Auswanderer | 00:19:31 |
Max Steinitzer | ||
2 | Die Braut von Corinth | 00:20:05 |
Ludwig Ferdinand Prinz von Bayern | ||
3 | Der Gott und die Bajadere | 00:16:29 |
Rainer Maria Klaas | ||
4 | Der Zauberlehrling (Improvisation) | 00:06:51 |
Interpreten der Einspielung
- Peter P. Pachl (Deklamation)
- Uwe Mehlitz (Flöte)
- Rainer Maria Klaas (Klavier)